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Dresden ist Hochburg rechter Straftaten

Nirgends in Sachsen gab es 2017 so viele Fälle wie in der Landeshauptstadt. Das zeigen offizielle Zahlen.

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© Sven Ellger

Von Christoph Springer

Es ist tiefe Nacht. An der Straßenbahnhaltestelle auf dem Sachsenplatz treffen zwei Gruppen aufeinander. Zu einer gehören mehrere Asylbewerber, auch ein 21-jähriger Libyer. Plötzlich zeigt einer der Männer aus der anderen Gruppe den Hitlergruß, ruft dazu „Heil Hitler“, und schlägt dann mit einem Komplizen auf den Libyer ein. Der 21-Jährige wird leicht verletzt. Kurz darauf greift die Polizei die Täter in einer Straßenbahn auf. Es ist die Fallnummer 189 in einer Liste von 323 rechten Straftaten in Dresden im vergangenen Jahr. Die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Die Linke) hat diese Liste zusammengestellt. Mit diesem Ergebnis führt Dresden die Negativstatistik im Freistaat an.

Seit Jahren registriert die Polizei in Dresden die meisten rechten Straftaten

Kerstin Köditz fragt Monat für Monat im Landtag nach der Zahl der rechten Straftaten im Freistaat. Die Antworten kommen vom Innenministerium und stammen aus der Statistik der sächsischen Polizei. Inzwischen hat die Landtagsabgeordnete einen Überblick über die Zeit von 2011 bis 2017. Das Ergebnis: Stets hatte Dresden diesen traurigen Spitzenplatz inne.

Hakenkreuze und rechte Parolen machen den größten Teil der Taten aus

Wer ein Hakenkreuz an eine Wand malt oder den Hitlergruß zeigt, verwendet Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Diese Delikte machen im Sachsen-Vergleich fast zwei Drittel aller Taten aus. Ähnlich ist das Verhältnis in Dresden. Etwas mehr als 200 der 323 Straftaten gehörten im vergangenen Jahr zu dieser Kategorie. Dazu kamen mehr als 40 Fälle der Volksverhetzung. Das sind zum Beispiel ausländerfeindliche und rassistische Äußerungen im Internet.

15-mal wurden in Dresden im vergangenen Jahr Menschen mit rechten Äußerungen beleidigt, in mehr als 30 Fällen waren rechte Motive Anlass für Schläge, Tritte oder andere handgreifliche Angriffe. Auch ein Brandanschlag steht in der Tabelle von Kerstin Köditz für das vergangene Jahr. Am 11. September 2017 zündelten Unbekannte am Parteibüro der Linken auf der Rudolf-Renner-Straße in Löbtau. Es gelang ihnen aber nicht, Feuer zu legen. Die Ermittlungen übernahm damals, wie bei politisch motivierten Taten üblich, das Operative Abwehrzentrum der Polizei.

Ein Drittel mehr Vorfälle als in vergleichbaren Städten

Leipzig und Chemnitz belegten 2017 die Plätze zwei und vier mit 222 und 204 Straftaten. Das heißt, nach den absoluten Fallzahlen wurden mit deutlichem Abstand die meisten Taten in Dresden begangen. Es ist etwa ein Drittel mehr als in Leipzig. Auf dem dritten Platz lag der Landkreis Bautzen mit 204 Taten. Bezogen auf die Zahl der Einwohner lag 2017 Chemnitz auf dem Spitzenplatz. Dort ereigneten sich 78 Taten pro 100 000 Einwohnern. In Dresden waren es 59, in Leipzig ebenfalls. Damit rangierten die zwei Großstädte im Mittelfeld der Sachsen-Statistik.

Leichter Rückgang bedeutet noch keine Trendwende

Besonders negativ schnitt Dresden bei dieser Statistik 2015 ab. Für dieses Jahr stehen 437 Taten in der Tabelle, die Kerstin Köditz angefertigt hat. Im Jahr zuvor waren es etwa halb so viele. Zwei Entwicklungen bringt sie mit dem Rückgang in Verbindung: „Erstens ist das extrem rechte Versammlungswesen rückläufig.“ Das habe zuvor Tatgelegenheiten geschaffen, etwa bei Konfrontationen mit dem politischen Gegner. „Zweitens wurde der rechten Szene durch die Zugriffe gegen die Gruppe Freital und die Freie Kameradschaft Dresden ein Dämpfer verpasst“, so die Landtagsabgeordnete. Weil also die Gelegenheiten für Übergriffe weniger geworden sind und mehrere Rädelsführer und Beteiligte aus dem Verkehr gezogen wurden, sind die Tatzahlen gesunken. Köditz warnt, die jüngste Entwicklung für Anzeichen einer Trendwende zu halten. Auch nach Ereignissen wie dem Auffliegen des NSU sei die Wirkung bei den Rechten immer nur zeitlich begrenzt gewesen.

Mehr Polizeieinsatz kann langfristig positive Wirkung haben

Kerstin Köditz ist der Überzeugung, dass neben Präventionsarbeit und politischer Bildung auch verstärkte Einsätze der Polizei dazu führen können, potenzielle Täter zu bremsen. Die Stafverfolgungsbehörden müssten zügiger einschreiten als etwa bei den Ermittlungen gegen die Freie Kameradschaft Dresden, stellt sie fest. Es sei wichtig, die Entwicklung in Dresden weiterhin aufmerksam zu beobachten.

Die RAA-Opferberatung hat höhere Zahlen für 2017

Der Verein, der unter anderem Betroffene rechter Attacken berät, hat 2017 in Dresden 52 Gewalttaten mit rechten oder rassistischen Hintergründen registriert. Das sind etwa 50 Prozent mehr als in der Polizeistatistik für dieses Jahr stehen. Dazu gehören laut RAA unter anderem Körperverletzungen und Brandstiftungen. Kerstin Köditz erklärt diese Differenz nicht. In einer anderen Auswertung stellt sie aber fest, dass Statistiken wie die des RAA „in das polizeilich nicht erhellte Dunkelfeld hineinreichen“. Das heißt, dort werden auch Angriffe erfasst, von denen die Polizei nichts erfährt oder die sie nicht als rechte oder rassistische Taten eingeordnet hat.