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Drei Jahre auf der Walz

Roter Anzug, schwarzer Hut – Jule ist Raumausstatterin und tut, was früher Tausende taten. Heute ist das eher selten.

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© Claudia Hübschmann

Von Udo Lemke

Meißen. Im Volkslied heißt es: „Das Wandern ist des Müllers Lust.“ Aber nicht nur des Müllers. Auch des Raumausstatters bzw. der Raumausstatterin. Denn auch Jule wandert. Nachdem sie vor einem halben Jahr ihre Lehre abgeschlossen hatte, ist sie los. Die Regeln sind klar. Erstens: „Man muss für drei Jahre und mindestens einen Tag in der Fremde sein.“ Zweitens: „Man darf sich seinem Heimatort nicht mehr als 50 Kilometer nähern.“ Bei Jule, die in Rostock geboren und aufgewachsen ist, wäre das Berlin. Und drittens: „Man darf für Fortbewegung und Unterkunft kein Geld ausgeben.“

All das hat die 26-Jährige bislang umgesetzt. Zwar ist sie in dem halben Jahr auch zwei Mal Bus gefahren, aber da hat sie den Busfahrer gefragt und der hat sie umsonst mitgenommen. Ansonsten fährt sie per Anhalter, bittet um Unterkunft und kommt bei Privaten, bei Vereinen oder Gemeinden unter. Einmal allerdings hat es bislang nicht geklappt. „Da haben wir im Freien geschlafen, aber dann kam ein Gewitter und wir haben uns in den Vorraum einer Bankfiliale gelegt.“

Telefon ist tabu

„Wir haben im Freien geschlafen“ – das heißt, dass Jule wie jeder andere, der auf die Walz gehen will, von einem Altgesellen, der schon mindestens ein Jahr auf Wanderschaft war – „der einen losbringt von seinem Heimatort“ – die ersten Monate begleitet werden muss. „Am Anfang war mir schon mulmig, aber als ich gemerkt habe, dass jemand an meiner Seite war, der sich auskennt, verging das.“ Und: „Ich habe noch nichts Negatives erlebt, es passieren immer wieder schöne Dinge, viele Menschen begegnen einem offen und herzlich und man muss ja bedenken, dass ich für sie eine völlig Fremde bin.“

Mit den drei eingangs beschrieben Regeln hat es sich aber noch nicht. „Während der dreijährigen Wanderschaft wird der Familienname abgelegt“, erzählt Jule. Und so nennt sie sich denn für diese Zeit Jule Fremde Freireisende. Freireisende deshalb, weil sie nicht einem sogenannten Schacht, also einer Vereinigung von auf Wanderschaft gehenden Handwerkern, angehört. Nach Jules Auskunft sind derzeit rund 150 Freireisende im deutschsprachigen Raum unterwegs. Natürlich ist auch die Kluft samt Hut Pflicht. So zeigen die acht Knöpfe an der Weste die täglich achtstündige Arbeitszeit an. Die sechs Knöpfe an der Jacke stehen für die sechs Arbeitstage der Woche – ein Relikt aus der Zeit, da auch sonnabends noch gearbeitet werden musste.

Nach Meißen ist Jule durch einen Kontakt zum Sohn von Einrichtungshaus-Chef Holger Schmidt gekommen. Seit zwei Wochen arbeitet Jule jetzt bei Teppich-Schmidt. Sie hat eine Wandbespannung genäht, ein Sofa neu bezogen, bei einem Kunden eine Gardinenvorrichtung angebracht und viel genäht. „Die Mitarbeiter sind sehr nett, ich werde super integriert und habe auch Verantwortung übertragen bekommen.“

Was den Reiz ausmache, auf Wanderschaft zu gehen, lautet die Frage. „Zum einen die Freiheit und zum anderen die Erfahrungen, die man mit anderen Menschen und im Handwerklichen macht.“ Und das ganz ohne Sicherheiten, die für die allermeisten normal sind. So ist es denjenigen, die auf Wanderschaft sind, etwa verboten, ein Telefon zu haben. Und dann nennt Jule Fremde Freireisende noch eine wichtige Regel ihrer Wanderschaft: „Das Allerwichtigste ist es, keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen, damit die nach einem Wandernden auch noch willkommen sind.“