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Drama um gestohlenes Fahrrad

Als das Rad wiedergefunden wird, ist Melanie Sell froh. Doch dann kommt die böse Überraschung.

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© Dietmar Thomas

Von Sylvia Jentzsch

Ostrau. Noch heute kann Melanie Sell aus Ostrau nicht fassen, was ihr in letzter Zeit passiert ist. Zuerst wird ihr das Fahrrad gestohlen. Als es fast zwei Monate später am Friedhof in Beicha wieder auftaucht, stellt die Finderin Forderungen.

Melanie Sell führt ein bescheidenes Leben. Die 36-Jährige trägt Zeitungen, Briefe und Prospekte aus – immer mit dem Fahrrad, denn ein Auto besitzt sie nicht. Seit zehn Jahren bringt sie den Ostrauern die Zeitungen ins Haus. Dafür steht die 37-Jährige um 2.15 Uhr auf. Nach dem Frühstück geht es um 3 Uhr an die Karl-Marx-Straße, um die Zeitungen zu laden und zu verteilen – bei Wind, Regen und Schnee. Gegen 5.30 Uhr ist sie dann wieder zu Hause, um sich noch ein wenig hinzulegen. Doch bereits um 8 Uhr beginnt sie mit dem Austeilen der Briefe in Ostrau, Wutzschwitz, Meerschütz und Noschkowitz. „Ich bin dann bis gegen 16 Uhr unterwegs. Dann habe ich Freizeit. Nur nicht am Mittwoch. Da trage ich eine Wochenzeitung aus“, sagte die Ostrauerin. Sie mache ihre Arbeit gern. Wenn sie davon erzählt, hat sie ein Lächeln im Gesicht.

Doch zu lachen hatte sie am 18. November 2017 nichts. „Gegen 6 Uhr habe ich mein Fahrrad an der Bahnhofstraße in Ostrau abgestellt und abgeschlossen. So mache ich das immer. Ich dachte, es sei der kürzere Weg, um zum Dresdener Berg zu kommen“, sagte die 36-Jährige. Auf der Dresdener Straße habe sie einen jungen Mann gesehen, der ihr zu dieser frühen Stunde schon etwas suspekt vorkam. Und mit ihrer Ahnung hatte sie recht. Als sie zurückkam, waren das Fahrrad und einige Zeitungen verschwunden.

„Bisher ist in den zehn Jahren noch nichts passiert. Und nun das“, so Melanie Sell. Sie informierte sofort ihre Vorgesetzte bei der Vertriebsfirma, die alles regelte. Die Ostrauerin zeigte den Diebstahl bei der Polizei an. Doch ihr Problem war viel schwerwiegender: Ohne Fahrrad hätte sie ihre Arbeit nicht erledigen können. Dabei hatte sie es erst im April erworben und lange darauf gespart. Deshalb hatte sie auch nicht das Geld, schon wieder ein neues zu kaufen. Ihr Vater sprang ein, 200 Euro steuerte die Versicherung bei. „Ich war so froh, dass sich nun alles regelte“, sagte Melanie Sell.

Dann erhielt die Vertriebsfirma Anfang Januar einen Anruf. Das Fahrrad war am Friedhof in Beicha gefunden worden. Eine ältere Frau habe gesehen, dass es herrenlos herumstand. „Meine Vorgesetzte war so nett und bot sich an, das Fahrrad abzuholen“, sagte Melanie Sell. Doch so einfach wurde es nicht herausgegeben. Die Finderin habe die Identifikationsnummer wissen wollen, die die Zeitungsausträgerin nicht kannte. „Meine Vorgesetzte konnte sie überzeugen, dass es wirklich mein Fahrrad war“, erzählte Melanie Sell. Allerdings verlangte die Beichaerin einen Finderlohn in Höhe von zehn Prozent. Das waren immerhin 30 Euro – viel Geld für die Ostrauerin, die allein lebt und mit ihrem Lohn auskommen muss. „Ich hatte gehofft, wenn ich ein Päckchen Kaffee und zehn Euro vorbeibringe, freut sich die Frau trotzdem. Doch da hatte ich mich geirrt.“ Die Frau habe auf den 30 Euro Finderlohn bestanden.

Da sie zur Polizei musste, um ihre Anzeige wegen des Diebstahls zurückzunehmen, fragte sie nach, wie es sich mit dem Finderlohn verhält. „Die Polizisten sagten, dass in diesem Fall kein Anspruch darauf besteht. Und trotzdem habe ich mich über das Verhalten der Frau sehr geärgert. Dabei wollte ich mich doch bedanken“, so Melanie Sell. Sie bewege das Ganze noch heute.

Dann kam auch noch der Brief von der Versicherung. Die gezahlten 200 Euro musste die Ostrauerin zurückerstatten. „Das habe ich auch ordnungsgemäß gemacht, obwohl es mir schwer gefallen ist.“ Jetzt hat Melanie Sell zwei Fahrräder. Die will sie auch behalten, falls ihr wieder mal eins gestohlen wird. So habe sie gleich Ersatz. Und weil sich ihre Geschichte herumgesprochen hat, wird sie von vielen Leuten darauf angesprochen.

Auch bei den Stadtwerken Döbeln hat man davon erfahren und will die Ostrauerin helfen. „Es ist schon schlimm, wenn Leuten, die schon wenig haben, etwas gestohlen wird. Denn ohne Fahrrad kann Frau Sell ihren Lebensunterhalt nicht verdienen. Noch schlimmer ist für mich aber die Reaktion der Frau, die das Fahrrad wiedergefunden hat und dafür Geld verlangt“, so Simone Friedrich, Prokuristin der Stadtwerke.