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Drama, Tränen, Himmelsträume

Hunderte kamen zu einem Casting für Flugbegleiter ins Hotel Kempinski. Dieter Bohlen hätte seine Freude gehabt.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Seit gestern hat sie vor Aufregung nichts mehr gegessen. Nur auf Knoblauchsoße hätte Sarah Landmann aus Leipzig Appetit gehabt, aber das wäre vermutlich keine so gute Idee gewesen. Schließlich steht an diesem Sonnabendvormittag ein Casting an. Die Lufthansa sucht neue Flugbegleiter und hat interessierte Bewerber standesgemäß ins Hotel Kempinski eingeladen.

Die ersten Bewerber warteten schon früh halb sieben vor dem Taschenbergpalais. Ganz vorn in der Schlange: Sarah Landmann und Henry Herzog.
Die ersten Bewerber warteten schon früh halb sieben vor dem Taschenbergpalais. Ganz vorn in der Schlange: Sarah Landmann und Henry Herzog. © Sven Ellger

„Meine Hände zittern so“, sagt Sarah. Die 17-Jährige steht fast ganz vorn in der langen Schlange, die sich schon morgens halb neun am Taschenbergpalais entlangschlängelt. Gleich neben ihr: Henry Herzog aus der Nähe von Nürnberg. Er ist 60, ausgebildeter Pianist, DJ, diplomierter Butler und Lebenskünstler. Erst am Tag zuvor hat er von dem Casting erfahren und sich spontan ins Auto gesetzt. „Für einen Friseurtermin war es dann leider zu spät“, sagt er und lacht lauthals los.

So wie Sarah und Henry werden sich an diesem Tag rund 250 Frauen und Männer vorstellen. Viele sind geschniegelt und gebügelt erschienen, andere im Schlabberpulli. Zumeist Männer. Die Frauen prüfen im Handspiegel noch mal ihr Make-up. Aus Dresden kommt kaum jemand, dafür von überall sonst her. Nach drei Stunden wird jeder von ihnen erfahren, ob er bald eine zwölfwöchige Schulung als Flugbegleiter beginnen darf.

Seit einem Jahr gibt es zusätzlich zur normalen Onlinebewerbung noch diese Castings. Erfahrungsgemäß würde etwa ein Drittel der Kandidaten genommen, sagt Lufthansa-Sprecher Jörg Waber. Insgesamt suche man in diesem Jahr 1 400 Stewardessen und Stewarts. „Das sollen keine Models sein, sondern Menschen mit einem sicheren Auftreten“, sagt Waber. Der richtige „Style und Smile“ werde später in der Ausbildung gelehrt. Wer mindestens 1,60 Meter ist und nicht gerade adipös, der bekomme hier seine Chance. Nach oben gibt es keine Altersbegrenzung. Das freut vor allem Henry Herzog.

Punkt 9 Uhr geht es los. Sarah Landmann bekommt bei Anmeldung gesagt, dass sie die Schulung erst nach ihrem 18. Geburtstag beginnen kann. Kein Problem. Noch ist sie sowieso Schülerin. Ihr Freund verdient sein Geld aber schon als Flugbegleiter. Für die Vorbereitung war das natürlich nützlich. Nach wenigen Warteminuten in einem Raum, der einer Flughafenlobby gleicht, wird sie aufgerufen. Beim kurzen Kennenlerngespräch kann sie mit jeder Menge Faktenwissen über Flugrouten und Flugzeugtypen punkten. Ihre Motivation? „Die Lufthansa war ein kleiner Mädchentraum, schon immer gewesen“, sagt sie. Läuft. Sie habe als Kind sogar eine Flugbegleiter-Barbie mit Trolley gehabt. Passt. Um ihren Hals hängt eine Kette Flugzeug-Anhänger. Mega. Auch ihr Englisch ist tadellos. Kann nur bedeuten: Sie darf weiter, eine Etage nach oben. Hier sieht der Wartebereich gleich um einiges gediegener aus, mit Polstersesseln und Sofas. Auch Henry Herzog trifft Sarah hier wieder. Einige andere Schlangennachbarn sind dagegen abhandengekommen.

Nun das Finale: ein psychologisches Gespräch, bei dem die Presse draußen bleiben muss. Sarah verschwindet gemeinsam mit einer Lufthansa-Frau hinter einer schweren Tür. Anschließend berichtet sie, sie sei in einem Rollenspiel mit einer vertrackten Situation konfrontiert worden. Ein pöbelnder Fluggast habe sich über lärmende Kinder beschwert. Er wollte weder Kopfhörer haben, noch sich umsetzen lassen. Letztlich habe sie ihn aber beruhigen können.

Nun wartet Sarah im Gang auf die Entscheidung. Gemeinsam mit zwei anderen Frauen wird sie aufgerufen und ins Treppenhaus geführt. Nach einem kleinen Spannungsbogen sagt der nette Herr mit dem gelben runden Anstecker: „Herzlichen Glückwunsch an Sie alle!“

Sarah schießen die Tränen in die Augen. Das war ganz schön viel Druck für eine 17-Jährige bei ihrem allerersten Bewerbungsgespräch. Jetzt muss die Anspannung einfach raus. Vor Freude fällt sie ihrer künftigen Kollegin, die sie erst seit drei Stunden kennt, um den Hals. In wenigen Monaten wird sie in Frankfurt ihre Schulung beginnen und nach deren Ende direkt ins Flugzeug steigen. Rund 2 000 Euro brutto inklusive Schichtzulagen gibt es für die unbefristete 83-Prozent-Stelle. Im Winter hat sie mehr Freizeit als im Sommer.

Henry Herzog wird nicht genommen. „Ich hätte gedacht, mein Charme ist unwiderstehlich, aber offenbar nicht“, sagt er. „Ich bin nicht traurig. Vielleicht hätte ich doch noch einen Friseurtermin wahrnehmen sollen.“ Er lacht sich eins und schlendert davon. Spontan wird er die Nacht zum Sonntag noch in Dresden verbringen und bis 2.30 Uhr in der Hotelbar Klavier spielen. Nur Fliegen ist schöner.