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Drahtseilakt für Schweizer Armee

Die Eidgenossen stimmen am Sonntag über die Abschaffung der Wehrpflicht ab. Den Initiatoren droht eine Niederlage.

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© dpa PA / Christian Beutler

Warten. Eine rauchen. Durch den Schlamm robben. Noch eine rauchen. Sturmgewehr putzen. Warten. So schildern Gegner der Schweizer Armee den Alltag von Wehrpflichtigen. „Junge Männer haben Besseres zu tun, als Krieg zu spielen“, schimpft Jo Lang, einer der Wortführer der „Gruppe Schweiz ohne Armee“ (GSOA), in der sich linke und pazifistische Politiker und Aktivisten zusammengeschlossen haben.

Jetzt bereitet die GSOA einen Frontalangriff auf die Streitmacht der Eidgenossen vor: Die GSOA will die Wehrpflicht in der Schweiz abschaffen. Am Sonntag werden die Eidgenossen in einer Volksabstimmung über den Plan entscheiden. Die GSOA hatte den Urnengang mit einer Unterschriftensammlung erzwungen. Das Ende der Massenrekrutierung, so hofft die GSOA, würde letztlich das Aus für die gesamte Armee einläuten. Allen Umfragen zufolge müssen die Initiatoren jedoch mit einer deutlichen Niederlage rechnen.

Tatsächlich leistet sich die kleine Schweiz mit knapp acht Millionen Einwohner im Herzen des friedlichen Europas mit einer Truppe von insgesamt 190 000 Mann eine der größten Armeen der Welt – pro Kopf der Bevölkerung. Die Schweiz, der Sonderfall. „Nur Militärnostalgiker, die sich noch in Zeiten des Kalten Kriegs wähnen“, wollten von der Wehrpflicht nicht lassen, betont der Pazifist Lang.

Regierung, Parlament und das Offizierskorps halten dagegen: Sie wollen an der Wehrpflicht festhalten. An vorderster Front kämpft Verteidigungsminister Ueli Maurer von der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei. Für ihn ist die Schweizer Wehrpflichtarmee die „beste Armee der Welt“ – und so soll es bleiben.

Eine Schweiz ohne Wehrpflicht – für viele Eidgenossen eine unerhörte Vorstellung. Etliche gediente Schweizer verklären ihre Zeit in Uniform: Lagerfeuer, Kameradschaft, Abenteuer. Die Dienstpflicht gehört untrennbar zur Armee, die patriotisch gesinnte Männer und Frauen noch immer als Heiligtum verehren. Die Streitmacht, so lautet einer der helvetischen Mythen, habe selbst in den stürmischsten Zeiten der vergangenen 200 Jahre die Schweiz vor Angriffen geschützt. „Die Armee mit der Wehrpflicht wird als ein Zwillingsbruder der Schweizer Neutralität gesehen“, erläutert der Genfer Soziologe Jean Ziegler. „Armee und Wehrpflicht anzutasten heißt für viele, die Neutralität anzugreifen.“

Konservative Politiker und Armeeliebhaber wie Andreas Felix aus Graubünden pochen auch auf der sicherheitspolitischen Notwendigkeit der Wehrpflicht: Nur eine Truppe, die sehr schnell sehr viele militärisch ausgebildete Männer mobilisiert, könne das Land verteidigen. „Kriegerische Auseinandersetzungen sind in den nächsten 15 Jahren zwar unwahrscheinlich“, unterstreicht Felix.

In Europa gilt die Wehrpflicht weitgehend als Auslaufmodell. Norwegen, Finnland, Dänemark, Russland, Estland, Österreich, Zypern halten noch an ihr fest – und eben die Schweiz, wo sie ebenso zum Image dazugehört wie direkte Demokratie, Uhren und Käse. (mit AFP)