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Drachentöter an der Wand

Das Domherrenhaus Freiheit 6 gewährt einen Ausblick über die Stadt und tiefe Einblicke in ihre Geschichte.

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© Claudia Hübschmann

Von Udo Lemke

Meißen. Wer hat Georg die Augen ausgestochen? Der Heilige, der mit seinem Speer den Drachen tötet, um die jungfräuliche Königstochter vor der Bestie zu retten, hat dort, wo die Augen sein müssten, nur zwei Löcher im Gesicht. Vielleicht handelt es sich um einen Akt der Bilderstürmerei während der Reformation, als in vielen Kirchen und Gebäuden Gemälde und Plastiken zerstört wurden, weil sie gegen das Verbot der Bibel verstießen, wonach man sich kein Bild von Gott, Christus und den Heiligen machen solle. Das ist eine mögliche Deutung, erklärt Martin Lehmann. Der auf Wandmalereien spezialisierte Restaurator, spricht von einer der Darstellungen im Treppenhaus des Domherrenhauses Freiheit 6. Das hat er gemeinsam mit seiner Frau Stephanie Bogin vom ehemaligen Meißner Oberbürgermeisters Thomas Pohlack 2012 erworben.

Behutsam und geduldig restaurieren Stephanie Bogin und Martin Lehmann das ehemalige Domherrenhaus Freiheit 6.
Behutsam und geduldig restaurieren Stephanie Bogin und Martin Lehmann das ehemalige Domherrenhaus Freiheit 6. © Claudia Hübschmann

Eine andere mögliche Deutung wäre die, dass ein Maurer, der die Wandbilder später überputzte, Georg geblendet habe, „um ihm die Kraft zu nehmen“. Wie dem auch sei – die erstaunlich gut erhaltenen Wandmalereien, die etwa um 1500 entstanden sein müssen, bergen nur eines der vielen Geheimnisse des Hauses. Das Haus – das sind eigentlich zwei. Denn anhand von Holzuntersuchungen lässt sich der südliche Teil auf das Jahr 1346 datieren.

Der nördliche, später angebaute Teil, wurde Ende des 16. Jahrhunderts angefügt. Verbunden sind beide mit einem Wendelstein, also einem spiralförmig angelegten Treppenhaus. Natürlich sei die Freiheit 6 ihr Haus, sagt Stephanie Bogin, aber die aus dem amerikanischen Bundesstaat Massachusetts stammende Restauratorin sieht sich und ihren Mann aber eher als Caretaker. Übersetzt heißt das schlicht Hausmeister, aber sie meint es in einem übergreifenden Sinne.

Gäbe es das Wort im Deutschen, dann müsste man wohl eher von Obachtgebern schreiben. „Wenn man sich überlegt, wie viele Leute hier in den vergangenen 800 Jahren gewohnt haben – da spürt man schon eine besondere Verantwortung.“ Ja, und auch wenn es etwas hoch gegriffen erscheint: „Es ist eine Ehre für uns, hier wohnen zu dürfen.“ Martin Lehmann sagt, dass es sich andeutet, dass das Haus mit seinen Wandmalereien, den ältesten Holzbalkendecken Meißens und seinen uralten Kellern ein Schatz ist. Den will das Restauratorenpaar mit den Bürgern und Gästen Meißens teilen und zugänglich machen. Schon im September, zum Tag des offenen Denkmals, sollen Interessierte tiefe Einblicke in die Geschichte nehmen können.

Vergangene Woche konnte das Restauratorenpaar einen symbolischen Scheck der Deutschen Stiftung Denkmalschutz über 15 000 Euro entgegennehmen. Gedacht ist das Geld für die Restaurierung der mit Zement geflickten Stufen im Treppenhaus und der großen Sandsteinplatten in der Eingangshalle. Außerdem soll eine spätgotische Metalltür restauriert werden.

Martin Lehmann und Stephanie Bogin haben einen Untermieter im Haus, eine zweite Mietwohnung soll noch entstehen, und es gibt eine bezaubernde Ferienwohnung. So füllen sie die Freiheit 6 mit Leben und bringen „nebenbei“ ein Kleinod wieder zum Glänzen.