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Doppeltes Glück

Für Familie Knötschke aus Görlitz definiert sich das Wort Zeit ganz neu – nachdem zu zwei Söhnen 2016 noch Zwillinge dazukamen.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Daniela Pfeiffer

Die Überraschung kam drei Tage nach dem Kauf des Kinderwagens. Er würde wohl zu klein sein. Mandy Knötschke hatte nicht nur ein Baby im Bauch, sondern zwei. Erst in der 19. Schwangerschaftswoche erfuhren sie und ihr Mann, dass sie bald zu sechst sein würden. Die Söhne Timo (4) und Luca (5) würden bald zwei kleine Geschwister haben. Pünktlich am Ostersonnabend kam das kleine Doppelpack auf die Welt. „Nicht zu früh und ganz normal geboren“, erzählt Mandy Knötschke. Darüber ist sie froh und stolz. Denn die 33-Jährige lässt gern der Natur den Lauf, wollte auch eine Hausgeburt, schulmedizinische Untersuchungen in der Schwangerschaft lehnte sie ab – bis dann eben doch das Gefühl übermächtig wurde, es könnte mehr als ein Baby sein. „Es war wie eine Vorahnung“, sagt sie heute lächelnd und blickt auf die beiden Kleinen in ihrem Arm: Till und Lilly. Sie blond und blauäugig, er dunkel mit großen braunen Kulleraugen. Sie haben das Leben der Knötschkes schon mächtig umgekrempelt, seit sie geboren wurden. Sogar umgezogen ist die Familie – von Görlitz nach Königshain in eine schöne, viel größere Wohnung. Für sechs war in der alten Wohnung wirklich kein Platz. Die beiden Großen haben jetzt ganz oben ihr eigenes Reich. Nur wenn Besuch da ist, mögen sie dorthin nicht so gern gehen. Lieber erzählen und herumwirbeln, versuchen, Mamas und Papas Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Dass es hier ab und an turbulent zugeht, ahnt man. Aber die Eltern haben sich ein eigenes System aufgebaut. Steffen Knötschke kümmert sich morgens um die Großen, macht ihnen Frühstück, bringt sie nach Görlitz in die Kita. Dann kommt der selbstständige Vermögensberater meist noch mal zurück und frühstückt mit seiner Frau. Auch wenn das halbwegs entspannt klingt: Zeit hat für sie eine ganz andere Bedeutung, seit auch die beiden Kleinen auf der Welt sind. Vor allem da sie keine Verwandten in der Nähe haben, keine Großeltern, die mal spontan einspringen könnten, wenn Arzt, Einkaufen oder Behördentermine auf dem Plan stehen oder die Großen zum Sport gebracht werden müssen. „Das fehlt uns schon sehr, da würden wir uns wünschen, es gäbe jemanden“, sagt Mandy Knötschke. Angebote wie den Großelterndienst kennen sie, aber das ist nicht ganz das, was sie suchen. Es geht nicht um ein, zwei feste Termine pro Woche, sondern um den spontanen Anruf von jetzt auf gleich. Aber Freunde gibt es zum Glück, die auch mal helfen. Mandy hat mehrere Freundinnen, die ebenfalls viele Kinder haben. „Die verstehen einen am besten und kommen, wenn’s mal brennt.“

Timo und Luca handeln indes mit dem Papa die Bedingungen aus, unter denen sie in Betracht ziehen würden, doch eine halbe Stunde in ihr Kinderzimmer zu gehen. Was Süßes? Okay. „Ein Kind ist kein Kind“, schmunzelt Steffen Knötschke, der zudem noch zwei erwachsene Kinder aus einer früheren Beziehung hat. Der 48-Jährige schwört darauf, dass gute körperliche Fitness eine wesentliche Voraussetzung ist, mit Stress fertig zu werden, und gesunde Ernährung. Mandy Knötschke, die nebenbei erst Lilly, dann Till stillt, hat ihr eigenes Rezept: „Mamas schaffen das.“ Das gilt vor allem, wenn sie mit den Zwillingen allein unterwegs ist. Einkaufen zum Beispiel. Eins im Tragetuch am Körper, das andere in der Babyschale im Korb. Anders geht es gar nicht. Lustig finden Knötschkes dabei die Reaktionen der Leute. „Wenn sie die Zwillinge zuerst sehen, heißt es immer: Ach wie süß, Zwillinge“, erzählt Vater Steffen. „Kommen dann die beiden Jungs noch herbeigerannt, schlägt es in Bedauern um: vier kleine Kinder, ach die Armen.“

Familie Knötschke hat zu einem sehr zwillingsreichen Jahr für Görlitz beigetragen. Im Vergleich zu den Vorjahren kann man fast von einem Zwillingsboom sprechen. Waren es 2013 und 2014 je zehn Paare und im vergangenen Jahr neun, konnten sich 2016 gleich 24 Elternpaare über doppelten Nachwuchs freuen. Insgesamt sind 2016 bislang 793 Kinder geboren, erstmals seit einigen Jahren rechne das Krankenhaus mit 800 Geburten, so Sprecherin Katja Pietsch. Und zwei davon sind Lilly und Till.

Sie wirken gerade sehr entspannt und zufrieden. Vielleicht lernt man das als Zwilling schon früh: Geduld haben, nicht gleich quengeln. „Bei zwei Kindern muss eben immer mal eins warten“, so Mandy Knötschke. Warten muss momentan auch ihr Büroservice, den sie in Görlitz betreibt. „Dafür ist jetzt tatsächlich überhaupt keine Zeit, aber meine Mitarbeiterinnen kümmern sich sehr gut.“ Nach der Elternzeit will sie auch eine weitere berufliche Richtung einschlagen. Eine Ausbildung zur Geburtsbegleiterin hat sie 2015 gemacht. Das ist nicht mit Hebamme vergleichbar, denn diese ist medizinisch ausgebildet und kann das Kind auf die Welt holen. Eine sogenannte Doula dagegen kümmert sich während der gesamten Zeit der Geburt um die Mutter. Betreuen, umsorgen – Dinge, für die Hebamme und Ärzte weniger Zeit haben. In Görlitz ist sie die Erste, die eine solche Ausbildung hat.

Im Moment aber sind andere Dinge wichtig. Zum Beispiel das erste Weihnachten zu sechst. Der Baum steht schon seit ein paar Tagen. Mandy Knötschke, die aus Dresden stammt, hat Mutter und Schwester eingeladen, mit ihnen zu feiern. „Wir machen es uns schön“, sagt sie. Und nicht nur zu Weihnachten gilt: So viele Kinder bedeuten ihnen nicht nur Stress, sondern pures Glück. „Wir haben vier gesunde Kinder, alles andere ist unwichtig“, sagt Steffen Knötschke. Und seine Frau ergänzt: „Klar kommt man auch an seine Grenzen, aber die Kinder geben uns so viel zurück, wir können es immer wieder genießen.“