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Doppelte Herausforderung

Wie Kugelstoßerin Christina Schwanitz den Spagat zwischen Zwillingsmutter und Leistungssportlerin schafft.

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© privat.

Von Michaela Widder

Sie ist ein Freund der klaren Worte. Wenn Christina Schwanitz etwas sagt, dann meint sie das exakt so. „Wenn mir das alles über den Kopf wächst, lasse ich die Kugel sofort fallen.“ In ihrem neuen Leben steht der Sport nicht mehr an erster Stelle, und doch nimmt er wieder mehr und mehr Raum ein. Seit Juli ist Kugelstoßerin Christina Schwanitz Mutter von Zwillingen – und fünf Monate später wieder Leistungssportlerin. „Es funktioniert nur mit einem gut strukturierten Umfeld aus Familie und Freunden. Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Schwanitz und gibt zu: „Die ersten drei Monate waren Hardcore.“

Als Christina Schwanitz im Februar 2017 in Düsseldorf stieß, war sie bereits schwanger. Im Juli bekam sie dann ihre Zwillinge.Foto: Imago
Als Christina Schwanitz im Februar 2017 in Düsseldorf stieß, war sie bereits schwanger. Im Juli bekam sie dann ihre Zwillinge.Foto: Imago © imago/Beautiful Sports

Seit Anfang des Jahres gehen ihr Junge und ihr Mädchen, deren Namen sie nicht verraten will, in einen Kindergarten, und die Weltmeisterin von 2015 arbeitet seitdem intensiv an ihrem Comeback. „Wenn ich auf dem Trainingsplatz stehe, kann ich voll vergessen, dass ich Mama und verheiratet bin.“ Doch sobald sie die Hallentore verlässt, legt sich der Schalter bei Familienmensch Schwanitz um. Beruf und Privates möglichst zu trennen, war ihr schon vor der Geburt der Zwillinge wichtig – und nun umso mehr.

EM-Triple als großer Wunsch

Der Alltag hat sich eingespielt. Ihr Mann Tomas lässt sie nachts schlafen, wenn Sohn oder Tochter doch mal wach sind. 5.30 Uhr beginnt der Tag mit Frühstück. Danach bringt sie die Kleinen in die Krippe, geht zum Training und holt sie später wieder ab. In Absprache mit ihrem Mann, der beruflich öfter unterwegs ist, steht am Nachmittag oder Abend die zweite Einheit auf dem Programm. „Manchmal falle ich dann schon halbtot um“, sagt sie. Mit Sven Lang hat sie einen Trainer an ihrer Seite, der sich – erst recht nach dem Weggang von David Storl – voll auf seine Weltklasseathletin einstellt. Ein flexibler Trainingsplan sei Voraussetzung, um das Doppel-Pensum überhaupt zu bewältigen. Schwanitz hat ein großes Ziel, und das heißt EM im August Berlin. „Mein Wunsch ist“, so formuliert es die 32-Jährige, „dass ich bei der EM auf dem Treppchen ganz oben stehe“. Es wäre ein Traum-Comeback nach der Babypause.

Ihren letzten Wettkampf hat Schwanitz im Februar 2017 bestritten. Damals war sie schon schwanger, als sie in Leipzig deutsche Hallenmeisterin wurde. Die Rückkehr in den Wettkampf-Ring ist für den 18. Mai beim Werfertag in Schönebeck geplant. „Dort will ich gleich die EM-Quali ordentlich klarmachen.“ National droht weiterhin keine große Konkurrenz. So selbstbewusst wie sie schon jetzt auftritt, scheint das Training in Chemnitz vielversprechend zu verlaufen. Dass sie so schnell wieder fit werde, habe vor allem ihren Trainer überrascht. Ende Januar hatte sie das erste Mal wieder eine Kugel in der Hand. „Wenn man was gern macht, dann kommt das Gefühl schnell wieder“, meint sie. Und das Gute sei, mancher Fehler von früher sei nun weg. Die Ergebnisse vom ersten Trainingslager auf Zypern, wo die Kinder zu Hause beim Vater blieben, sind „super“. Der Leistungsstand sei etwa auf dem gleichen Level wie 2015, als sie sich nach einer Operation an der Patellaspitze weiter mit Knieproblemen in der Saison plagte. Am Ende war es trotzdem ihr Jahr. Die Sächsin wurde in Peking Weltmeisterin und Siegerin der lukrativen Meetingserie Diamond League. 15 der 20 weltbesten Weiten gingen damals auf das Konto der Athletin vom LV 90 Erzgebirge. Als Sportlerin des Jahres blieb sie mit ihren fröhlich-frechen Sprüchen bei der Gala in Baden-Baden oder beim Auftritt im ZDF-Sportstudio vielen in Erinnerung.

Wenn Schwanitz lacht, dann scheint ihr ganzer Körper zu lachen. Die fröhliche Art gehört zu ihr wie ihr klarer Blick für die wichtigen Dinge im Leben. „Ohne Ziel geht man keinen Weg“, sagt die zweimalige Europameisterin. Die Pause vom Leistungssport nutzte Schwanitz, um ihr Fachabitur nachzuholen. Später will sie soziale Arbeit studieren und vielleicht einen Sport-Knigge-Kindergarten eröffnen. „Ich finde es wichtig, schon früh Werte zu vermitteln und die Kinder an die Bewegung heranzuführen“, erzählt die gebürtige Dresdnerin von ihren langfristigen Ideen.

Die Auszeit vom Sport hat sowohl ihrem Körper als auch dem Kopf gutgetan. „Ich habe mich gesehnt, normal zu sein“, sagt sie und meint damit beispielsweise, vom Dopingkontrollsystem abgemeldet zu sein oder Urlaub nach Lust und Laune machen zu können. Nach der Geburt sei sie die ersten Monate „nur auf Baby getrimmt“ gewesen. Später genoss sie auch die Zeit, um mal wieder was für sich zu tun. „Man wird ja schon sehr weich und fraulich.“

Am Olympiastützpunkt Chemnitz begann die Sportsoldatin mit Fitness. „Kammer des Schreckens“ stand auf einem weißen Blatt an der Innenseite der Tür. Längst steht die Kugelstoßerin wieder in den Ring. Demnächst fährt sie nach Südtirol ins Trainingslager „mit den beiden Krümeln“, um die sich ihr Mann viel kümmern wird. Auch als Familie sind sie im Leistungssport angekommen.