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Doktor Faustus

Christoph Steinmann kämpft in Dresden als Ausgleich zum Studium – und mit Worten gegen Vorurteile.

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© Ronald Bonß

Von Tobias Hoeflich

Wenn Christoph Steinmann am Sonnabend die Arena im Ostrapark betritt, wird mehr Adrenalin als sonst durch seinen muskulösen Körper schießen. Vor heimischem Publikum anzutreten, ist noch mal etwas anderes, sagt der Dresdner. „Ich muss aufpassen, dass ich nicht übermotiviert bin.“ Hunderte Zuschauer, die einen anfeuern, das stachelt zusätzlich an. Wenn er gegen Lukasz Zielonka von den Emstek Fighters aus Niedersachsen antritt, dann werden auch Freunde und Bekannte im Publikum mitfiebern – seine Eltern dagegen nicht, das weiß er schon jetzt: „Sie akzeptieren meinen Sport, aber sind nicht gerade heiß drauf, Karten zu bekommen“, sagt er schmunzelnd. „Sie wollen nur, dass wir uns nach dem Kampf melden und sagen, dass es uns gut geht.“

Wie sein älterer Bruder ist auch der 27-jährige Steinmann MMA-Sportler. Das Kürzel steht für Mixed Martial Arts, gemischte Kampfkünste – eine Sportart, die in den 1990er-Jahren ihren Ursprung hat. Sie vereint Schlag- und Tritttechniken vom Boxen über Judo bis zum Ringen. Doch brauchen Sportler nicht nur Hand und Fuß, betont Steinmann, sondern auch den Kopf: „Selbst wenn es komisch klingt, vergleiche ich es gern mit Schach. Die eigenen Fähigkeiten sind die Figuren. Man muss sie so nutzen, dass man den Gegner schachmatt setzt.“ Steinmann selbst sieht sich als Allrounder, gut im Stand, aber auch gut am Boden. Ausgerechnet Schach? Daran denken wohl die wenigsten, wenn sie zwei Männer in einem Käfig aufeinander losgehen sehen. Steinmann kennt die Vorurteile. Wenn man aufklärt, dann bauen sich die Klischees schnell von allein ab. Den Käfig etwa braucht es, damit die Sportler nicht von der Kampffläche fallen können. Schließlich duellieren sich MMA-Sportler auch am Boden und nicht nur im Stand wie Boxer. Ernsthafte Verletzungen zu vermeiden, ist oberstes Prinzip und in der Drei-Punkte-Regel verankert: Berühren mindestens drei Punkte des Körpers den Boden, darf der Gegner keine Fuß- und Knietechniken zum Kopf ausführen. „Brutale Dummkopfschläger kommen in dem Sport nicht weit.“

Als Jugendlicher fing Steinmann zunächst mit Boxen an, probierte sich später auch in anderen Kampfsportarten aus. Bei einem Wettkampf in Liechtenstein wurde Trainer Uwe Korn vom Dresdner MMA-Verein Take Down auf das Brüderpaar aufmerksam. Inzwischen gehen sie wie rund 60 weitere Mitglieder beim Vereinssitz auf der Kleiststraße in Dresden-Pieschen ein und aus. Nur wenige von ihnen treten bei Wettkämpfen an, Steinmann selbst auch nur ein- bis zweimal im Jahr. „Aber in jedem steckt dieser Wettkampfdrang – das Verlangen, sich mit anderen zu messen“, ist er überzeugt. Schließlich wird Kampfsport von Amerika bis Asien überall auf der Welt betrieben. Die Kombination aus allem macht für ihn den Reiz beim MMA aus.

Beim Boxen schauen Millionen zu

Nicht wenige in Steinmanns Umfeld reagieren darauf erst mal irritiert. Dass er fürs Studium der molekularen Biotechnologie an der Technischen Universität Dresden im Labor mit Pipetten und Reagenzgläsern hantiert, mag so gar nicht zum sportlichen Hobby passen. Tatsächlich ist es für ihn der perfekte Ausgleich: „Das Adrenalin, das du bei einem Kampf spürst, ist mit nichts zu vergleichen.“ Auch menschlich hat der Sport seine Persönlichkeit geprägt. Ob Körpergefühl, Auftreten oder Selbstbewusstsein: „Ich wäre ein anderer Mensch, wenn ich das die vergangenen zehn Jahre nicht betrieben hätte.“

Umso wichtiger ist ihm, Vorurteile gegenüber der Sportart abzubauen. Steinmann weiß um eine gewisse Prominenz, die ihm die Sportart bringt: Wer seinen Namen im Internet sucht, stößt unweigerlich auf MMA. Im Videoportal Youtube lässt sich einer seiner Kämpfe verfolgen. Könnte das nicht abschrecken, potenzielle Arbeitgeber zum Beispiel? Steinmann macht sich darüber wenig Gedanken. „Wenn ich mich bewerbe, und der Chef würde mich wegen meiner Sportart nicht einstellen, dann wäre es nicht der richtige Arbeitgeber für mich. Wenn er dem Kampfsport so voreingenommen gegenübersteht, wie ist das dann in anderen Lebensbereichen?“ Steinmann will anhand seiner Arbeit bewertet werden, nicht aufgrund eines Hobbys. „Reden kann man über alles.“

Zwar sei Deutschland besonders konservativ, was die Akzeptanz des Kampfsports angeht. Doch Besserung ist in Sicht. Lange Zeit durften MMA-Kämpfe nicht im Fernsehen gezeigt werden. 2014 wurde das Verbot gekippt – für Steinmann ein wichtiger und logischer Schritt: „Boxen ist genauso ein Wettkampf. Da schauen Millionen zu, und es ist anerkannt. Diese Zweideutigkeit ist für mich nicht nachvollziehbar.“

Der Kampf um Akzeptanz wird noch dauern. Der Kampf am Sonnabend geht über maximal 15 Minuten. Steinmann freut sich, nach längerer Abstinenz wieder öffentlich aufzutreten. Die noch junge MMA-Eventserie „Sprawl and Brawl“ („strecken und kämpfen“) gastiert erstmals in Dresden. Zuletzt hat Steinmann fast täglich dafür trainiert. Ob es zum Sieg reicht, ist zwar ungewiss. Doch mit Sicherheit wird er nach dem Kampf die Eltern anrufen. Und sagen, dass es ihm gut geht.

MMA-Event „Sprawl and Brawl“: Sonnabend, 27. Mai, Einlass ab 18 Uhr im Ostrapark Dresden, Tickets ab 24€