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Dieses Ballett ist Kult

Vor über 40 Jahren gründete sich das Tanzensemble des Kulturpalastes – als Damenkränzchen besteht es bis heute.

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© René Meinig

Von Nadja Laske

Es ist ein kalter, aber sonniger Nachmittag, an dem sich die beiden Damen flink aus ihren Jacken schälen. Ihr Lächeln gilt dem Fotografen, der hat sich vorm Kulturpalast postiert und bittet um lockere Gesten. Eine leichte Übung. Rica Müller und Gabriele Wunsch wissen sich zu bewegen. Viele Jahre lang lebten sie für die Bühne. Das Tanzensemble des Kulturpalastes Dresden war ihnen eine Art Heimat, mit der sie sich bis heute verbunden fühlen.

Für die jungen Tänzerinnen des Ensembles stand der Sommer ganz im Zeichen des Brückenmännchens, der legendären Kinder-Show im Kulturpalast.
Für die jungen Tänzerinnen des Ensembles stand der Sommer ganz im Zeichen des Brückenmännchens, der legendären Kinder-Show im Kulturpalast. © privat
Aber auch im Cancan-Kostüm begeisterten die Dresdnerinnen ihr Publikum.
Aber auch im Cancan-Kostüm begeisterten die Dresdnerinnen ihr Publikum. © privat

Gabriele Wunsch hatte gerade ihr Tanz-Studium beendet. „Ich war noch Schülerin von Gret Palucca“, sagt die 72-Jährige und erinnert sich an eine Episode, die ihr erst Aufregung und dann Anerkennung einbrachte. Palucca habe viel Improvisationsunterricht gegeben und gern Materialien dazu verwenden lassen. „Wir bekamen alle Krepppapier, und ich stand mit meiner gelben Rolle ratlos auf dem Flur“, erinnert sie sich lachend. Alle Mitschüler bastelten fleißig, um mit Kostümchen verkleidet eine erdachte Rolle zu tanzen. Zum Glück kam ein Freund vorbei und gab der Verzweifelten den Tipp: Sei doch eine Kerze. So wickelte sie sich von Kopf bis Fuß in Krepp und brannte zum Sterben schön im flackernden Tanz. Palucca war begeistert.

Dass Gabriele Wunsch später selbst Tanzlehrerin sein und mit unzähligen Choreografien reichlich eigene Fantasie beweisen sollte, wusste sie da noch nicht. Doch kaum war das Studium zu Ende, regte sie der Regisseur Heinz Burghardt an, am Kulturpalast ein eigenes Ballett zu gründen. „Das haben wir 1973 getan und in der Sächsischen Zeitung zu einem Vortanzen aufgerufen.“ Es meldeten sich rund 300 junge Mädchen an, aus dem geplanten Casting-Wochenende wurden drei und am Ende hatte der Kulti sein eigenes 30-köpfiges Tanzensemble.

Die 16- bis 20-Jährigen trainierte Gabriele Wunsch zwei Mal die Woche. Schon zwei Jahre nach Gründung reiste die Gruppe zu einem Kulturfestival nach Warschau. Dort traten auch DDR-Stars wie Frank Schöbel, Manfred Krug und das Duo Hauff und Henkler auf. Sozusagen echte Promis. „Wir befahlen den Mädchen: Starrt sie nicht so an!“ Auch nach Ostrava wurden sie delegiert und gehörten fest zu all den legendären Programmen des Kulturpalastes wie „Rosen für unsere Frauen“, „Das Brückenmännchen“ und „Sind die Lichter angezündet“. Sogar im Fernsehen trat das Ensemble auf – in Sendungen wie „Mach mit, mach`s nach, mach`s besser“ und „Wenn schon, denn schon“. So eiferten die Dresdnerinnen ihren großen Vorbildern nach, dem Fernsehballett und dem Ballett des Berliner Friedrichstadtpalastes.

Als Gabriele Wunsch ab 1978 mit einer Kindergruppe für Nachwuchs sorgte, war Rica Müller dabei. „Ich kann mich noch gut erinnern, wie stolz ich gewesen bin, auch bei den Großen mittanzen zu dürfen“, erzählt sie. Als Elfjährige begann sie und blieb zehn Jahre. Jede freie Minute verbrachte die heute 50-Jährige in den Trainingsräumen, saß in den Pausen der Auftritte mit Schulbuch und Hefter da, um als Schülerin Pflicht und Kür zu vereinen. „Das Ballett hat mich fürs Leben geprägt“, sagt sie, „Es hat mir Selbstdisziplin, Genauigkeit und Kämpfergeist beigebracht.“ Alles Eigenschaften, die für ihren heutigen sportlichen Beruf entscheidend sind. Rica Müller ist Sport- und Deutschlehrerin geworden und gibt außerdem Fitnesskurse.

Für Gabriele Wunsch ging nach 17 Jahren die Kulti-Ära zu Ende. Ausgerechnet am 40. Jahrestag der DDR stand ihr Ballett zum letzten Mal auf der Bühne. Nach der Wende verschwanden die großen bunten Programme aus dem Kulturpalast. Sie waren unbezahlbar geworden. Die Ensemblegründerin machte sich als Tanzpädagogin und Choreografin selbstständig und ist ihrem Fach und ihrer Leidenschaft bis heute als Tanztherapeutin treu.

Ihr wiederum halten viele ehemalige Ballettschülerinnen die Treue. „Wir treffen uns jeden Monat einmal im Café, das ist eine fröhliche Gruppe“, erzählt Rica Müller. Da kreist auch manch Foto von einst und erweckt das Flair der gemeinsamen Zeit.