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Dieser Mann häufte Dresdens Kunstschatz an

Carl Heinrich von Heineken ist mehr als der Begründer der Kupferstichkunde. Eine Gesellschaft will dies jetzt zeigen.

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© Carl Heinrich von Heineken-Gesellschaft

Von Lars Kühl

Als Erstes fällt auf, dass Martin Schuster einen Stich hat. Diese Bemerkung ist keineswegs negativ oder gar abwertend gemeint. Genau genommen sind es sogar ziemlich viele Stiche. Sie hängen verteilt im Flur und in den Zimmern seiner Neustadt-Wohnung an den Wänden. Beeindruckend, wer da alles auf einen herabblickt: bedeutende Personen auf berühmten Gemälden – bei Schuster gerahmt als Kupferstiche. Denn er und seine Mitstreiter haben sich einem Mann verschrieben, der wie kaum ein anderer für den heutigen Weltruhm Dresdens als Stadt der Kunstschätze verantwortlich scheint – und trotzdem in der öffentlichen Wahrnehmung so gut wie vergessen ist: Carl Heinrich von Heineken.

Carl Heinrich von Heineken
Carl Heinrich von Heineken © Carl Heinrich von Heineken-Gesellschaft

Vor einem Jahr haben sie die gleichnamige Gesellschaft gegründet. Zu zeigen haben die über 30 Mitglieder viel und dennoch ein Problem. Sie brauchen einen Raum, damit sie die Kupferstiche ausstellen und Heineken gebührend würdigen können. Bisher war ihre Suche erfolglos, dabei gibt es viel Interessantes zu erzählen, obwohl der Geheime Rat am kursächsischen Hof selbst kein Kupferstecher war. Trotzdem prägte er diese Kunst nachhaltig.

Heineken wurde am Heiligabend 1707 in Lübeck geboren. Die Eltern waren beide Maler, die Mutter betrieb dazu einen Kunsthandel, was für den Lebensweg des Sohnes noch wichtig werden würde. Nach dem Rechts- und Literaturstudium in Leipzig und Halle zog es den jungen Heineken 1730 als Hauslehrer nach Dresden. Unter anderem arbeitete er für den Grafen Alexander Josef von Sulkowsky, der einflussreicher Minister am sächsischen Hof war und dem bis zu seiner Verbannung zeitweise das Schloss Übigau gehörte. 1738 gelang es aber dessen größtem Widersacher, Graf Heinrich von Brühl, Sulkowsky aus allen Ämtern zu drängen. Der neue wichtige Mann und Kabinettsminister von Sachsen – Friedrich August II. galt im Gegensatz zu seinem Vater August der Starke als schwacher und nicht gerade entscheidungsfreudiger Kurfürst – sicherte sich die Dienste Heinekens als Privatsekretär und Bibliothekar. Schnell wurde der sein engster Vertrauter. 1741 übernahm Heineken die Verwaltung von Brühls Kassen, Gütern und Manufakturen in Sachsen und stieg selbst zum Oberamtsrat auf.

Einschneidend wurde es 1746, als Heineken zum Direktor des königlichen Kupferstichkabinetts ernannt wurde, welches 26 Jahre vorher als eigenständiges Museum aus der um 1560 von den Wettinern gegründeten Kunstkammer ausgegliedert worden war. Während seiner Amtszeit stieg der Bestand von knapp 81 000 Kupferstichen auf über 130 000. Auch die Anzahl der Bücher verdoppelte sich auf rund 800. Heinekens Kunstsinn, gepaart mit kaufmännischem Geschick, in die Wiege gelegt durch die Arbeit der Mutter, ließ ihn zum wahren Schöpfer des Kabinetts werden. Außerdem organisierte er es völlig neu nach Schulen, Gattungen und Themen.

Damit nicht genug, Heineken dirigierte ein europaweites Netzwerk aus Kunstagenten, zu dem Diplomaten, Kunsthändler, Maler, Kunstkenner, Schriftsteller und Bürger von Welt gehörten. Für die Bildergalerie von Friedrich August II. gelangten Gemälde von internationalem Rang nach Elbflorenz, aus Italien, Frankreich, den Niederlanden, Spanien und den habsburgischen Ländern. So glückte unter anderem der Ankauf der äußerst begehrten „Heiligen Nacht“ (La famossissima notte) von Correggio, welche bis 1800 das bekannteste Bild der Dresdner Sammlungen war. Abgelöst wurde es von Raffaels Renaissancewerk „Sixtinische Madonna“, welches seit 1754 in deren Besitz ist. Auch diesen Deal fädelte Heineken ein. Er häufte einen wahren Schatz an, mit dem Dresden in Europas erste Liga der Gemäldegalerien aufstieg.

Von den schönsten Bildern ließ Heineken, der wegen seiner Verdienste 1749 in den Reichsritterstand erhoben worden war, zwei Bände mit Kupferstichen anfertigen. Die Qualität der Drucke kann bis heute unter anderem in der Sächsischen Staats- und Universitätsbibliothek bewundert werden. Dabei handelt es sich ebenso um Kunstwerke. Denn auch die Stecher waren Meister ihres Fachs. Sie arbeiteten die originalen Linien exakt in die Platten ein. Der Kurfürst schenkte die riesigen, kiloschweren Bücher in feinstem Ledereinband seinen staatsmännischen Besuchern. „So konnte er durch Abkupfern seinen Besitz in die Welt schicken“, sagt Schuster. Heineken probierte, eine eigene Auflage als Privatmann zu verkaufen. Allerdings floppte dies genauso wie der Versuch, die Kupferplatten in Paris zu veräußern. Sie lagerten rund 200 Jahre später in einer Leipziger Druckfabrik und wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, erzählt Schuster.

Wahrscheinlich hätte Heineken Dresdens Reichtum weiter vermehrt – wenn 1756 nicht der Siebenjährige Krieg ausgebrochen wäre. Als Brühls engster Vertrauter wurde er mehrmals verhaftet. So auch bei Kriegsende 1763. Heineken wurde aller seiner Ämter enthoben. Man machte ihn für das Finanzchaos Sachsens mitverantwortlich. Friedrich August II. und Graf Brühl starben, somit hatte er keine Fürsprecher mehr. In einem langwierigen Schauprozess wurde Heineken zwar freigesprochen, allerdings musste er sein geliebtes Dresden verlassen.

Von seinem Schwiegervater, einem Hofkoch, hatte er unter anderem das Rittergut Altdöbern bei Senftenberg geerbt. Dort zog er hin und ließ das Anwesen zu einem prachtvollen Barockschloss ausbauen. Aus der Ferne kämpfte Heineken Jahre um seinen guten Ruf. Entschlossen widmete er sich bis zu seinem Tod 1791 aber auch der Schriftstellerei. Unter anderem verfasste er ein Standardwerk zur Ordnung grafischer Sammlungen, welches bis heute angewandt wird. Heineken war zudem sehr an der Landwirtschaft interessiert. So versuchte er sich als Obstbauer und beschrieb über 300 verschiedenen Sorten. Auch eine Tabakfabrik baute er auf.

Für die Gesellschaft ist die Koryphäe der modernen Kupferstichkunde mehr als ein erfolgreicher Kunsthändler und -ordner. Sie sieht in Heineken einen Universalgelehrten. Zurzeit arbeiten 25 Wissenschaftler aus Dresden, Köln, Frankfurt, Paris, Amsterdam und Toronto an einem Buch, das alle Facetten abbilden und noch dieses Jahr erscheinen soll. Außerdem soll der gesammelte Nachlass, zu dem auch viele Briefe gehören, transkribiert und für das Internet digitalisiert werden. Da Heineken weltweit in der Szene ein großes Ansehen genießt, wird die Seite demnächst ins Englische, Französische und Russische übersetzt. Am wichtigsten ist aber die Sache mit den eigenen Räumen. Damit Martin Schuster keinen Stich mehr hat.

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