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Diese Liebeserklärung ist Präzisionsarbeit

Kenias Hochland ist das Rosenbeet der westlichen Welt. Die Blumenfarmer graben sich aber selbst das Wasser ab.

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© dpa

Von Johannes Dieterich, SZ-Korrespondent in Südafrika

Die Sache mit St. Valentin verhält sich wie die mit dem Heiligen St. Nikolaus. Der kam auch nicht mit rotem Mantel und Mütze zur Welt: Vielmehr verpasste ihm der Getränkeriese Coca-Cola in den 1930er-Jahren seine rot-weiße Montur, um ihn zum Branding-Agenten der überzuckerten US-Brause zu promoten. Wenn heute zum Valentinstag vor allem rote Rosen verschenkt werden, dann hat auch das nichts mit altehrwürdigem Brauchtum zu tun. Denn woher hätten Mitteleuropäer einst mitten im Februar die sommerliche Blume nehmen sollen? Tatsächlich kamen noch bis vor wenigen Jahrzehnten am Tag der Liebenden nur Frühlingsblumen wie Schneeglöckchen, Veilchen oder auch Weidenkätzchen in Betracht, die zusammen mit einer Grußbotschaft und einer Schachtel Pralinen das edelste aller Gefühle repräsentieren sollten.

Die Rose verdankt ihren Aufstieg zum Liebessymbol zwei eher unromantischen Dingen. Dem Flugzeug und der Tatsache, dass die Blume beinahe unverwüstlich ist. Nur eine Rose kann von ihrem Stamm getrennt zwei oder drei Tage unbeschadet überstehen: Voraussetzung dafür, dass sie zur Ergötzung der Angebeteten aus Tausenden von Kilometern Entfernung in den unwirtlichen europäischen Februar verfrachtet wird. Aus diesem Umstand hat sich mittlerweile ein Wirtschaftszweig entwickelt, der ganze Länder über Wasser hält: neben Kolumbien und Ecuador vor allem Kenia. Aus dem ostafrikanischen Staat werden fast 150 000 Tonnen Schnittblumen pro Jahr in alle Welt, vorzugsweise aber nach Europa, exportiert. 70 Prozent aller in europäischen Supermärkten verkauften Rosen kommen aus Kenia.

Die ostafrikanischen Blumenfarmer setzen jährlich mehr als 600 Millionen US-Dollar um: neben Tee und Tourismus der größte Devisenbringer des Schwellenstaats. Von der Blumenindustrie hängen mehr als 500 000 Kenianer ab – mehr als zehnmal so viel wie von der Textilherstellung. Was Kenia außer seinem milden Wetter und seinen fruchtbaren vulkanischen Böden zum perfekten Blumenlieferanten macht, ist sein Airport und die täglichen KLM-Linienflüge nach Amsterdam: Zwei Drittel der kenianischen Ernte landen zunächst in Schipol. Von dort wird die wohlriechende Fracht zum Auktionsmarkt nach Aalsmeer gebracht, dem mit einer halben Million Quadratmetern Fläche zweitgrößten Gebäude der Welt. In einer Durchschnittswoche schlagen die Aalsmeerer Blumenhändler 50 Millionen Schnittpflanzen um. Am Valentinstag sind es jedoch 100 Millionen.

Stinkende Wahrheit

Die große Kunst der kenianischen Farmer ist es, das Wachstum ihrer Produktion so zu terminieren, dass sie pünktlich zur Hochsaison am 14. Februar kurz vor der Blüte steht – das Zeitfenster für den rechtzeitigen Schnitt beträgt höchstens drei Tage. Die Präzisionsarbeit ist nur möglich, weil in Kenias rund 1 800 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Hochland das ganze Jahr über bestes Rosenklima herrscht: nicht zu heiß und vor allem kein Frost. Als optimale Gegend hat sich die Region um das 90 Kilometer von der Hauptstadt Nairobi entfernte Provinzstädtchen Naivasha herausgestellt: Dort gibt es auch genügend Wasser. Die Nähe zum Flughafen und ausgeklügelte Transportabläufe machen es möglich, dass die Blumen vom Schnitt bis zur europäischen Vase nur zwei Tage unterwegs sind. Angesichts des erwähnten Durchhaltevermögens der Gattung Rosa kein Problem.

Zu Problemen kommt es aber am Lake Naivasha, wo sich die Hälfte aller 127 großen Blumenfarmer des Landes niedergelassen hat. Fachleute klagen, dass die Bewässerung der Gewächshäuser und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln den 140 Quadratkilometer großen Naivasha-See und seine über 400 Arten umfassende Vogelwelt bis zur Grenze der Belastbarkeit strapazieren. Nun soll der Rückgang des Wasserspiegels und die Einleitung pestizidverseuchten Abwassers in den See mit strikten Auflagen gestoppt werden. Kritik hagelt es auch an den Bedingungen in den Blumenfabriken, deren 90 000 Beschäftigte in der Hochsaison weit über 12 Stunden am Tag arbeiten müssen und oft nur 60 Euro im Monat verdienen. Das sei auf jeden Fall besser, als – wie 40 Prozent der kenianischen Bevölkerung – arbeitslos zu sein, meint der Blumenfarmer Peter Szapary: Kletterten die Arbeitskosten zu hoch, würden die Rosenbarone nach Äthiopien oder Ruanda ausweichen. Mit dem Rekurs auf das heimische Schneeglöckchen wird das Problem mit dem Tag der Liebe also nicht gelöst.