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Die zwei Seiten des Görlitzer Sanierungstages

Mike Schulze und Tessa Enright legen jetzt los, Ludwig Stalf hat sein Haus fast fertig. Beide öffnen am Sonntag die Türen.

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© Nikolai Schmidt

Von Ingo Kramer

Görlitz. Zehn Jahre in den USA waren für Mike Schulze genug. Danach fiel bei dem Informatiker und seiner amerikanischen Frau Tessa Enright 2016 die Entscheidung, nach Görlitz zu gehen, wo er aufgewachsen ist. Und irgendwann auch Vaters Firma zu übernehmen, die Bürgel & Schulze Haustechnik GmbH in Markersdorf. „Ich habe meiner Frau die verschiedenen Stadtteile von Görlitz gezeigt“, sagt der 37-Jährige. Am Ende war er froh: Ihr gefiel die Nikolaivorstadt am besten. Das gleiche Viertel, das es auch ihm angetan hatte.

So sieht ihr Haus von außen aus.
So sieht ihr Haus von außen aus. © Nikolai Schmidt
Dreimal Hotherstraße 29: Besitzer Ludwig Stalf zeigt die helle Wohnküche mit Balkon im zweiten Stock.
Dreimal Hotherstraße 29: Besitzer Ludwig Stalf zeigt die helle Wohnküche mit Balkon im zweiten Stock. © Nikolai Schmidt
Die Fassade ist gelb und beinhaltet auch ein großes Schaufenster.
Die Fassade ist gelb und beinhaltet auch ein großes Schaufenster. © Nikolai Schmidt
Den Hinterhof lässt Stalf mit historischen Materialien neu gestalten und die restlichen Flächen begrünen. Die Stadtmauer im Hintergrund soll angeleuchtet werden.
Den Hinterhof lässt Stalf mit historischen Materialien neu gestalten und die restlichen Flächen begrünen. Die Stadtmauer im Hintergrund soll angeleuchtet werden. © Nikolai Schmidt

Und Anfang 2017 konnten sie hier tatsächlich ein Haus kaufen, die Große Wallstraße 27. Es ist unsaniert, aber keine Ruine. Bis vor zwei Jahren war es noch bewohnt. Und es ist nicht zu groß: „Wir wollen den ersten und zweiten Stock für uns nutzen, das sind zusammen 140 Quadratmeter“, sagt Mike Schulze. Im Parterre entsteht noch eine kleine Einlieger- oder Gästewohnung rechts und ein Hobbyraum links. Das Dachgeschoss bleibt erst einmal unausgebaut. Vor allem die 32-jährige Tessa Enright, die in Görlitz an der Volkshochschule unterrichtet, freut sich nach ein paar Monaten Planung auf den Baubeginn: „Ich will etwas sehen, nicht nur auf dem Papier.“ Anfang September soll es mit Dach und Fassade losgehen. Und zuvor nutzen die beiden den Tag der offenen Sanierungstür an diesem Sonntag, um ihr Haus der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Das plant auch Ludwig Stalf. Doch während sich das junge Paar noch in der Planungsphase befindet und ein komplett unsaniertes Haus öffnet, ist Stalf schon ein ganzes Stück weiter: Die äußere Hülle der Hotherstraße 29 ist fertig, Innenausbau und Hofgestaltung laufen. „Bis Oktober will ich fertig sein“, sagt der 77-Jährige, der problemlos für mindestens 15 Jahre jünger durchgeht. Stalf hat bei der Sanierung großen Wert auf die Wiederverwendung von alten Materialien gelegt. Die hat er zum Teil sogar aus anderen Häusern besorgt. Der Boden im Parterre besteht nun aus alten Ziegelsteinen, sogenannten Klosterformatsteinen. Anderswo kommen Granitpflaster oder auch fünf Zentimeter dicke Fliesen zum Einsatz, „500 Jahre alt“, wie Stalf erklärt. Auf den Wohnetagen hat er alte Holzbalkendecken freilegen und abschleifen lassen, auch die alten Türen sind noch da und werden bald aufgearbeitet.

Doch Stalf setzt nicht nur auf Altes: Die Fenster zur Hofseite hat er vergrößern lassen, sodass viel Licht nach innen gelangt. Auch einige Zwischenwände sind weg. So ist im zweiten Stock ein 60 Quadratmeter großer Raum zur Hofseite entstanden, der zusätzlich einen geräumigen Balkon erhalten hat. „Das ist Küche und Wohnzimmer in einem“, sagt Stalf. In seinem Haus entstehen nur zwei Wohnungen. Die untere – im ersten Stock – misst 136 Quadratmeter. „Im zweiten Stock sind die Wände dünner, dadurch ist die Wohnung fast zehn Quadratmeter größer“, sagt er. Demnächst will er anfangen, Mieter für beide Wohnungen zu finden. Die Preise stehen allerdings noch nicht fest. Stalf wünscht sich Leute, die die vielen historischen Details an dem Haus wertschätzen – und die möglichst lange hier wohnen bleiben.

Die beiden Dachgeschosse baut er nicht aus. Mieter können sie als Wäscheboden nutzen. „Oder für eine große Modelleisenbahn“, überlegt Stalf. Eine Dämmung gibt es hier oben aber nicht. Auch beim Parterre ist er flexibel. Es enthält barocke Gewölbe und solche aus der Renaissance, dazu weiße Fliesen aus der Zeit, als die Etage für eine Pferdeschlächterei genutzt wurde und dazu ein Schaufenster. „Zuletzt war hier eine Selterswasserabfüllstation“, sagt Stalf. Allerdings stehe die Etage schon sehr, sehr lange leer. Künftig kann er sich hier unten Ausstellungen vorstellen, Bilder zum Beispiel oder alte Handwerkstechniken: „Nicht für mich zum Geld verdienen, sondern um in der Stadt etwas zu bewegen.“

Genau wie Mike Schulze und Tessa Enright hat auch Stalf nicht immer in Görlitz gelebt. Er stammt ursprünglich aus Mannheim, lebte aber lange im fränkischen Bad Mergentheim. Als Projektentwickler war er für Obi und Edeka tätig, baute zum Beispiel Logistik-Zentren. In die Stadt Görlitz verliebe er sich schon 1991, weil hier noch so viel zu machen war: „Das fand ich spannend.“ Er sanierte im Laufe der Jahre sechs andere Häuser, verkaufte einige auch wieder. Im November 2011 zog er mit seiner Frau dann tatsächlich nach Görlitz, in die Hotherstraße 11, die er sogar zweimal saniert hatte – vor und nach der Flut. Die Hotherstraße 29 besitzt er schon seit 20 Jahren. Gleich zu Beginn reparierte er das Dach, später das Schaufenster. Doch zum Sanieren fand er erst jetzt, als Rentner, die Zeit. „Meine Frau wünscht sich, dass es das letzte Haus ist, das ich saniere“, sagt er. So ganz sicher ist er sich da aber noch nicht.

Für Mike Schulze und Tessa Enright ist die Große Wallstraße 27 auf jeden Fall das Erste. Wenn alles klappt, sollen Dach und Fassade sogar noch vor dem Winter fertig werden. Und im kommenden Herbst wollen die beiden einziehen. Wenn alles klappt. „Wenn nicht, dann eben ein bisschen später“, sagt er. Geduld haben beide.

Tag der offenen Sanierungstür am Sonntag, von 10 bis 17 Uhr, in fast 30 Häusern in Görlitz