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Die zerrissene Stadt

Nach der Brandnacht sucht Bautzen Orientierung. Wie schwer dies ist, zeigt die Podiumsdiskussion im Burgtheater.

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© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Bautzen. Am Ende drückt Gottlieb Biedermann den Brandstiftern noch selbst die Streichhölzer in die Hand. In der Ferne brennt schon die Stadt. Bald züngeln die Flammen auch im eigenen Haus. „Solange ich ihr Freund bin, werden Sie mich verschonen“, sagt Haarwasserfabrikant in Max Frischs bekanntem Stück „Biedermann und die Brandstifter“. Der Schweizer Schriftsteller schrieb das Drama 1958. Es zeigt, wie Schweigen und Wegsehen verbrecherisches Denken und Handeln erst möglich machen. „Die Brandstifter von Frisch äußern sich nicht politisch. Es sind Dämonen“, sagte Theaterintendant Lutz Hillmann vor der Aufführung am Montagabend. 150 Besucher waren gekommen.

Zu der Vorstellung mit anschließender Diskussion hatten das Bautzener Theater, die Stadt und der Lions Club Bautzen ins Burgtheater eingeladen. Landrat Michael Harig, Oberbürgermeister Alexander Ahrens, Lions-Chef und Bäckermeister Stefan Richter und Intendant Lutz Hillmann saßen auf dem Podium. Brandstifter haben den Anlass der Debatte diktiert. In der Nacht zum 21. Februar brach in der geplanten Flüchtlingsunterkunft am Husarenhof ein Feuer aus. Neben den Einsatzkräften fanden sich schnell Schaulustige ein. Einige von ihnen „kommentierten das Brandgeschehen mit abfälligen Bemerkungen oder unverhohlener Freude“, heißt es später im Einsatzbericht der Polizei. Mehrere Augenzeugen berichten von Rufen wie „Gebt euch keine Mühe“, „Lasst es brennen“, „Wir sind das Volk“ und „Wir wollen keine Asylantenheime.“ Die Ermittlungen zur Brandursache laufen. – Seit dieser Nacht ist in Bautzen nichts mehr, wie es war. Zeitungen, Fernseh- und Radionachrichten berichten über die Stadt im selben Zungenschlag wie über Clausnitz, wo 100 aufgebrachte Bürger mit „Wir sind das Volk“-Rufen einen Bus mit Flüchtlingen in Angst und Schrecken versetzten.

Was haben wir falsch gemacht?

Bautzen, Sachsen, Dunkeldeutschland – diese Aufzählung will vielen im Publikum nicht gefallen. Denen auf dem Podium darf sie nicht gefallen. „Trotzdem haben wir in Bautzen einen Tiefpunkt erreicht. Ich frage, was müssen wir tun, damit es nicht noch schlimmer wird. Was haben wir falsch gemacht?“, sagt Lutz Hillmann“. So einfach die Frage klingt, eine einfache Antwort wird sich nicht finden. Für Michael Harig ist der Vorfall, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ihm schlugen Wut und Hass zum Thema Asyl erstmals bei einer Bürgerversammlung im Dezember 2013 entgegen. Zu diesem Zeitpunkt nahm der Kreis gerade einmal zehn Flüchtlinge pro Monat auf. „Schon damals hat mich die Situation ratlos gemacht“, sagt Harig – und betont: Es gibt vor Ort Ausländerfeindlichkeit und Probleme mit rechten Gruppierungen.

Doch viel mehr stört den Landrat die „schweigende Mehrheit“. Bei Max Frisch reicht der Biedermann den Brandstiftern die Streichhölzer für ihre Tat. „Wir dagegen dulden in den sozialen Netzwerken Meinungsäußerungen, die nichts mehr mit Toleranz zu tun haben“, sagt Theaterintendant Hillmann und zitiert Statements von lokalen Facebook-Seiten. „Springt doch runter“, ist dort zum Beispiel zu lesen. Gemünzt ist die Äußerung auf jene Menschen, die sich wenige Tage nach dem Brand auf der Friedensbrücke zu einer Aktion für ein weltoffenes Bautzen trafen.

Ängste der Menschen ernst nehmen

Alexander Ahrens will aus diesem Grund der Fremdenfeindlichkeit noch entschiedener entgegentreten. „Ich rede mit jedem. Bei rassistischen Äußerungen ist aber Schluss“, sagt Bautzens Oberbürgermeister. Zugleich spricht er sich dafür aus, beides ernst zu nehmen: die Ängste der Menschen, aber auch die Erfahrungen mit den insgesamt sechs Flüchtlingseinrichtungen in der Stadt. Trotz großer Sicherheitsbedenken bei den Anwohnern im Vorfeld gebe es bisher keine ernsthaften Probleme. Für eine differenzierte Diskussion wirbt Stefan Richter. „Derzeit werden die bejubelt, die einfache Lösungen anbieten. Aber diese einfache Wahrheit gibt es bei diesem komplexen Thema eben nicht“, sagte der Kubschützer Bäckermeister.

Wie zerrissen die Stadt ist, zeigten die Wortmeldungen aus dem Publikum. SPD-Stadtrat Roland Fleischer fordert alle auf, den Mund gegen Hetzer aufzumachen. Jörg Drews, Geschäftsführer der Firma Hentschke Bau, beanstandet hingegen die fehlende Ehrlichkeit bei der Asyl-Debatte. „Es wird Einschnitte geben, vielleicht einen Flüchtlings-Soli. Und wie die Integration stattfinden kann, weiß keiner“, sagt er.

Einen möglichen Weg zeichnet Betina Lublow auf. Sie ist Lehrerin an der Allende-Oberschule. Täglich müsste sie sich bei Schülern mit rechtem Gedankengut auseinandersetzen und für das Miteinander der Jugendlichen aus Bautzen und aus den Flüchtlingsheimen werben. „Es ist eine Arbeit der kleinen Schritte. Wenn aber jeder etwas tut, können wir das schaffen.“