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Die zerrissene Neißeaue

Noch ist das Schicksal von Bürgermeisterin Evelin Bergmann offen. Doch die Frage, wer die Gemeinde führt, lässt Emotionen hochschlagen.

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© André Schulze

Von Sebastian Beutler

Neißeaues Vize-Bürgermeister Hans-Joachim Mautschke war nicht frohen Herzens ins Ortschaftszentrum Kaltwasser gekommen. Den Agrar-Ingenieur und Geschäftsführer des Gutes Krauscha konnte auch wenig aufheitern, dass „die Hütte voll“ war, wie er fand. Seine Stimmung traf wohl eher das freie Zitat nach Dantes „Göttlicher Komödie“, das er gleich zu Beginn des Abends wiedergab: „Fremder, betrittst Du diesen Ort, erfasst Dich das Grauen.“ Wobei Mautschke offenließ, was grauenvoller ist: Dass ein halbes Dorf den Aufstand gegen die Bürgermeisterin wagt oder dass der Beschluss über das Bürgerbegehren nicht zustande kam.

„So was Verlogenes“

Nicht zustande kommen konnte, denn die Rechtsaufsicht hatte klar gemacht, so geht es nicht. Was war passiert? Eine Gruppe von sieben Einwohnern sammelte seit Jahresbeginn über 600 Unterschriften für ein Bürgerbegehren, dessen Ausgang klären soll, ob Bürgermeisterin Evelin Bergmann weiter im Amt bleiben kann oder nicht. Die Unterschriften reichten die Initiatoren bei der Verwaltung des Verbandes „Weißer Schöps“ ein, sie wurden geprüft und das Bürgerbegehren für rechtmäßig erklärt. So bereitete der Verwaltungsverband auch eine Beschlussvorlage vor. Doch Bürgermeisterin Evelin Bergmann veränderte sie. In einem entscheidenden Passus: Sie bezeichnete in ihrer Vorlage das Bürgerbegehren als nicht zulässig. Daraufhin schritt die Rechtsaufsicht des Kreises noch wenige Stunden vor der Ratssitzung ein und schickte ein Schreiben. Dessen Kern: Die von der Bürgermeisterin veränderte Vorlage darf nicht zur Abstimmung kommen. Hans-Joachim Mautschke nahm daraufhin das Thema ganz von der Tagesordnung. Weder über die Vorlage des Verwaltungsverbandes noch der Bürgermeisterin wurde abgestimmt.

Mautschke und Frau Bergmann fühlten sich allein gelassen von der Kreisverwaltung als Rechtsaufsicht, von der „es keine klare Antwort auf unsere Fragen gab“, nur vage Ausführungen hätten sie erhalten. Dagegen warf Peter Pruschwitz, Ex-Gemeinderat und einer der Initiatoren des Abwahlbegehrens, der Bürgermeisterin und dem Rat Verzögerungstaktik vor. Mautschke entgegnete ihm: „Wir boykottieren nichts.“ Und empfahl den Gegnern der Bürgermeisterin, doch erst einmal auf einer Einwohnerversammlung ihre Pläne für die Zukunft der Neißeaue vorzustellen.

In der Gedrängtheit des kleinen Sitzungssaales war die Zerrissenheit der Neißeaue zu spüren. Auf der einen Seite saßen die Initiatoren des Bürgerbegehrens, auf der anderen die Anhänger der Bürgermeisterin. Unversöhnlich ist der Ton zwischen beiden Gruppen. „So was Verlogenes“, warf Wolfgang Hainke aus Kaltwasser Peter Pruschwitz vor: „Sie haben kein Konzept für die Gemeinde.“ Pruschwitz wiederum verteidigte sich: „Wir haben einen Plan. Aber jetzt sollen die Einwohner entscheiden.“

Immerhin wiegen die 636 Unterschriften schwer. Bei der letzten Bürgermeisterwahl im April 2013 gab es nur 1 460 Wahlberechtigte. Für Evelin Bergmann stimmten damals 634 Neißeauer. Nun aber seien die Bürger Sonntagnachmittag gekommen, wie Peter Pruschwitz berichtet, und hätten gefragt, was können wir unternehmen. Daraufhin hätten sich die sieben Initiatoren kundig gemacht und das Bürgerbegehren gestartet. „Es ist ja nicht so, dass wir die Unterschriften mit dem Knüppel gesammelt haben.“ Ihr Ziel ist nun vermutlich nicht mehr zu halten, am 24. September mit der Bundestagswahl das Bürgerbegehren abzuhalten. Aber stattfinden soll es auf jeden Fall.

Die Gemeinde hat in der jüngsten Geschichte Erfahrung mit Bürgerbegehren. Vor wenigen Jahren erst stimmten sie darüber ab, wie die Brücke in Deschka genutzt werden soll. Doch das Ergebnis wird bis heute aus Sicht der Gewinner des Entscheides nicht vollständig umgesetzt. Das hieße nämlich, kein Auto darf mehr über die Brücke fahren. Gerade in Deschka und in Zodel ist der Ärger darüber groß, und er äußert sich in Vorwürfen gegen Frau Bergmann. Sie hat ihre Unterstützer in Kaltwasser und Groß Krauscha. Inge Teegler aus Kaltwasser sagt beispielsweise an diesem Abend, dass sich die Bürgermeisterin bemühe, mit wenig Geld etwas zu bewegen, die Schulden stark reduziert habe und man ihr auch zugestehen müsse, im Amt zu lernen.

Wer steht als Kandidat bereit?

Doch Neißeaue ist nicht nur als Einheitsgemeinde in Orte zerrissen, die immer seltener auf einen Nenner kommen. Auch inhaltlich gibt es tiefe Gräben. Während der Rat und die Bürgermeisterin Sparpolitik einerseits betreiben, um einige Investitionen doch noch durchsetzen zu können, beispielsweise demnächst das Dach der Schule in Zodel reparieren zu können, halten ihre Gegner nicht viel davon. Sie werfen ihnen vor, Gemeindeeigentum spottbillig zu verkaufen, kaum noch zu investieren und die Bürger übermäßig zur Kasse zu bitten. Pruschwitz und sein Mitstreiter Gerd Schröter waren selbst jahrelang Gemeinderäte und hatten ihre Mitarbeit im Streit mit Frau Bergmann aufgekündigt.

Und schließlich ist Neißeaue eben darüber uneins, ob Evelin Bergmann eine gute Bürgermeisterin ist. Am Donnerstag spulte sie routiniert das Programm ab, wies Punkt um Punkt eine Stunde lang nach, um wie viele Dinge sie sich für die Gemeinde kümmert, wie eins ins andere greift. Die Räte gaben derweil kaum zu erkennen, auf welcher Seite sie im Streit stehen.

Peter Pruschwitz jedenfalls kündigte an, einen eigenen Bürgermeister-Kandidaten zu haben, ihn derzeit aber nicht nennen zu wollen. Aufmerksam registrierten die Anwesenden, dass Bergmanns Vorgänger Ewald Ernst mit den Initiatoren des Bürgerbegehrens den Saal verließ.