Merken

Die Zeichen der Chaoten

Görlitzer Hausbesitzer sind sauer wegen Schmierereien an Wänden und Glasscheiben. Täter werden nur selten erwischt.

Teilen
Folgen
© Pawel Sosnowski

Von Ralph Schermann

Görlitz. Für Helmut Beckers beginnt der Tag mit Ärger. Mit grüner Farbe hat jemand seine Haustür beschmiert. Mehr noch: „Auf Kröl-, Luisenstraße und Obermarkt fallen mir weitere bekrakelte Hauswände und Glasscheiben auf“, berichtet Beckers. Einige Sprühattacken lassen sich auch entziffern, etwa als „A-Symbol“, oder „HWDP“.

© Pawel Sosnowski
© Pawel Sosnowski

Damit wären geistige Urheber einzugrenzen. Schließlich gilt Verfassungsschützern zufolge das „A-Symbol“ als Zeichen für den kommunistischen Anarchismus, und „HWDP“ steht als Abkürzung für vier polnische Worte, die dazu auffordern, Polizeibeamte „in den A...“ zu treten. „Das sollte man eher mit den Schmierfinken machen“, sagt Heinz Schuster, dessen Haustür auf der Luisenstraße ebenfalls mit solchen grünen Zeichen verunstaltet wurde.

Der Polizei ist die Sprüherei bekannt. „Dazu liegen Strafanzeigen vor“, bestätigt Polizeisprecher Thomas Knaup und erklärt: „Farbschmierereien stellen bundesweit ein häufiges Problem dar. Juristisch handelt es sich aber um Antragsdelikte.“ Das heißt, dass die Polizei nur bei Anzeigen der Betroffenen ermittelt. Sonst tauchen diese Delikte in Statistiken nicht auf. Um Häufungen zu erkennen, sollten Sachbeschädigungen daher immer angezeigt werden. In diesem Jahr liegen bisher 30 solche Anzeigen für das Stadtgebiet Görlitz vor.

Der Schaden durch Schmierereien ist für Betroffene ärgerlich, die Beseitigung teuer. Die Versicherungsbranche verwendet den Begriff Graffitischäden in ihren Policen und nennt Mehrfamilienhäuser, öffentliche Gebäude und Verkehrs-Wartehäuschen als Schwerpunkte. Einfamilienhäuser in ruhigeren Lagen seien seltener betroffen. Versicherer bieten diverse Tarife an, sich gegen Graffitischäden abzusichern. Da es Dutzende Anbieter und bei diesen wiederum in Details abweichende Varianten gibt, müssen Hausbesitzer sehr genau hinschauen. „Auf jeden Fall sollte man gründlich das Kleingedruckte lesen“, rät der Görlitzer unabhängige Versicherungsmakler Tom Budig. Denn oft begrenzen Versicherer ihre Leistungshöhe, schließen Flure oder Glasscheiben aus, verstecken Selbstbeteiligungen. Manche verweigern Leistungen, wenn nicht „unverzüglich nach Feststellung“ die Polizei verständigt wurde. Vorbehalte und teure Policen sind aber auch verständlich, denn Gebäudeversicherer haben die Aufgabe, Kunden vor finanziellem Ruin zu bewahren, wie er durch Feuer- oder Sturmschäden eintreten kann. Graffitischäden sind optisch unerwünscht, aber das Haus bleibt bewohnbar, der finanzielle Schaden ist kaum existenzbedrohend. Mehrere befragte Görlitzer Versicherungsvertreter sehen das Problem ohnehin gelassen: Aus ihrer Sicht blieben in Görlitz solche Schmierereien im Vergleich der Vorjahre auf gleichem Niveau.

Als zunehmend dagegen schätzt das Görlitzer Ordnungsamt die Lage ein. „Mit Sorge beobachten die Kollegen von Stadtgrün massive Probleme“, informiert Stadtsprecherin Sylvia Otto. So stehen zunehmend Beschmierungen am Mahnmal Wilhelmsplatz, an der Skulptur „Verzweiflung“ im Stadtpark, am Goldfischteich, auf Spielplätzen, an der Pergola der Friedenshöhe, an der Ochsenbastei und am Brunnen Leipziger Straße zu Buche. „Der Schaden beläuft sich durch Graffiti-Entfernung jährlich auf mehrere Tausend Euro, da können manche Schmierereien gar nicht sofort beseitigt werden“, heißt es im Rathaus. Für das Ordnungsamt hat aber auch eine andere Form der Verunstaltungen zugenommen: Immer öfter werden Verkehrszeichen, Denkmale und Sitzbänke mit Aufklebern versehen. Allein vom Demianidenkmal neben dem Kaisertrutz mussten seit seiner Umsetzung auf der Vorderseite bereits weit über einhundert Mal Schlesien-Aufkleber entfernt werden.

Es gibt kaum Möglichkeiten, sich gegen solche Sachbeschädigungen zu wappnen. Der Fachhandel bietet zwar Produkte an, die „hemmende Wirkung“ haben oder von denen Farbe und Aufkleber leichter zu entfernen sein sollen, die Wirksamkeit solcher Hilfsmittel ist indes umstritten. „Der wirksamste Schutz ist noch immer eine gesunde Nachbarschaftshilfe“, bemerkt Polizist Thomas Knaup. Denn Farben oder Klebstoffe verfügen kaum über Individualmerkmale, so dass eine nachträgliche Zuordnung zu einer Person nicht beweissicher möglich ist. Eigentlich hilft nur das Erwischen auf frischer Tat. Und so werden Helmut Beckers, Heinz Schuster und die Stadtgrün-Mitarbeiter wohl längst noch nicht die letzte Anzeige gestellt haben.