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Die Wurstkönigin

Marlies During steht auch mit 63 Jahren noch täglich in ihrer Fleischerei. Die Neustadt schwört auf ihre Produkte.

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© Sven Ellger

Von Julia Vollmer

Marlies During rückt ihre Schürze zurecht, richtet mit geübtem Blick die Wurst in der Auslage zurecht und strahlt über das ganze Gesicht. „Ich will und kann einfach nichts anderes als Wurst und Fleisch verkaufen“, bringt sie es sofort auf den Punkt. Aber das besonders gut, kontert ihre Schwiegertochter Patricia mit einem Schmunzeln. Marlies During ist eine Institution in der Neustadt. 32 Jahre lang führte sie die gleichnamige Fleischerei auf der Rothenburger Straße. „Was der Kaiser unter den Fürsten, ist During unter den Würsten“, prangt auf einem Schild am Eingang. Im Sommer vergangenen Jahres hat sie das Geschäft an ihren Sohn Martin übergeben. Doch aufzuhören kommt nicht infrage. Mindestens 30 Stunden pro Woche arbeitet sie im Laden mit. Früh um fünf beginnt ihr Tag: Die Produktion der Wurst- und Fleischwaren geht los. Außerdem will die Küche für die Köchin vorbereitet werden, die den Mittagstisch für die inzwischen vier Geschäfte kocht. Neben dem Hauptsitz in der Neustadt gibt es noch drei Filialen: am Trachenberger Platz, auf der Räcknitzhöhe und in Coswig.

Marlies During, gelernte Verkäuferin, heiratete in die Fleischerfamilie During ein. Kennengelernt hat sie ihren Mann Max im Brandenburgischen, in Sallgast bei Finsterwalde. Fünf Jahre führten sie und ihr Ehemann die dortige Fleischerei zusammen mit den Schwiegereltern und einer Verkäuferin. 1983 zogen sie schließlich um nach Dresden. „Wir waren die Ersten, die von dort weggezogen sind, es stand buchstäblich der Bagger des Tagebaus vor unserer Tür.“ Angekommen in Dresden, war es eine große Umstellung für die heute 63-Jährige. Den Laden übernahm das Ehepaar During von der Familie Jakob. Plötzlich hatten sie nicht nur fünf Verkäuferinnen, sondern auch sechs Gesellen. Kurz vor dem Umzug kam das dritte Kind der Familie auf die Welt. Marlies During schmiss künftig also nicht nur den eigenen Laden, sondern auch eine große Familie. Ab und zu sei es auch mal vorgekommen, dass die Kindergärtnerinnen die Kleinen direkt nach Feierabend im Laden abgegeben haben. Lange überlegte sie, ihren Meister nachzuholen. Doch dafür sei einfach keine Zeit gewesen erzählt die Wurstkönigin. Als 1989 ihr Mann starb, musste sie einen Meister einstellen. Einen „aus dem Westen“, der aber viele neue Impulse und Ideen mitgebracht habe. Resolut ist Marlies During, sie hat ihre Fleischerei noch immer fest im Griff. Der Laden läuft gut, schon früh um neun kommen die ersten Stammkunden und essen Schnitzel und Bockwurst, schätzen die freundliche Bedienung. Täglich gibt es ein frisches Mittagessen. Frisch und selbst gemacht ist auch das komplette Wurst- und Fleischangebot. Dazugekauft wird nichts. Der Trend zu vegetarischen Produkten hat auch in der Traditionsfleischerei Einzug gehalten. Für die Freunde von fleischlosem Essen gibt es Bratwürste aus Tomaten, Ruccola und gerösteten Pinienkernen.

Genauso lange, wie sie ihr Geschäft in der Rothenburger Straße betreibt, lebt sie auch in der Neustadt. Ihre Wohnung, die sie nach der Wende gekauft hat, liegt über dem Laden. „Ich lebe gern hier, ans Umziehen habe ich nie gedacht“, so During. Sie genieße es, dass so viele verschiedene Menschen hier leben. Unsicher fühlt sie sich nicht, und Angst empfinde sie nie auf den Straßen. Sie habe ihr Viertel noch nie als besonders kriminell empfunden. Klar kann sie sich auch noch an die „wilden Zeiten“ der Bunten Republik Neustadt erinnern, als auf dem Bischofsweg die Barrikaden brannten und es Zusammenstöße zwischen rechten und linken Gruppen mit der Polizei gab. Genau wie Marlies During geht es auch den befragten Senioren der SZ-Serie „Was geht Alter?“. Tausende Leser gaben unter anderem Auskunft darüber, wie sicher sie ihr Wohnviertel einschätzen. Die Neustadt wurde mit der Note 2,1 bewertet.

Zeit, die Füße hochzulegen, hat Marlies During nicht und will sie gar nicht haben. „Nur im Liegestuhl sitzen wäre nichts für mich.“ Wenn sie nicht im Geschäft steht und Wurst verkauft, kümmert sie sich um ihre fünf Enkel. Eis essen oder Zoobesuche – gemeinsame Zeit ist kostbar. Danach gibt es oft eine Wurst auf die Hand. Denn die schmecken bei Oma am besten.