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Die Welt ist wie ein betrunkener Bauer

Im Theater trafen sich die evangelischen Christen der Stadt – was hat das mit Obama zu tun?

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© Claudia Hübschmann

Von Udo Lemke

Meißen. „Furcht tut nichts Gutes. Darum muss man frei und mutig in allen Dingen sein und feststehen.“ Vor einem halben Jahrtausend hat das Martin Luther gesagt, und es klingt, als sei es für heute gesagt. „Die Welt ist wie ein betrunkener Bauer: Hebt man ihn auf einer Seite in den Sattel, so fällt er auf der anderen wieder herab.“ Auch das stammt von Luther, und auch diese Worte scheinen für die Gegenwart gemacht.

Natürlich kann man die Zeit der Reformation, deren Beginn vor 500 Jahren in diesem Jahr gefeiert wird, nicht einfach mit dem Heute vergleichen, aber es gibt doch Parallelen. Beides waren Zeiten des Umbruchs, der Unsicherheit. Um 1517 trat der Frühkapitalismus auf die Bühne, aus der Neuen Welt kamen Silber und Gold, was eine Inflation nach sich zog, wodurch die Kaufkraft der Bevölkerung – die allermeisten Menschen waren Bauern – sank. Die Nahrungsmittel verteuerten sich, Aufstände waren die Folge. Der größte war der Deutsche Bauernkrieg 1525. Der Ablasshandel und die Käuflichkeit kirchlicher Ämter führten dazu, dass der Klerus als korrupt betrachtet wurde. Hinzu kam eine Medienrevolution durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern. Nicht nur die Bibel konnte nun gedruckt werden, sondern auch Flugblätter.

Globalisierung, soziale Medien, Flüchtlingsströme – das sind die heutigen Umbrüche, die viele Menschen verunsichern. Hinzu kommt mit den Fake News ein Medienphänomen, das auf gezielte Falschinformation setzt und ein künftiger amerikanischer Präsident, der mit 140 Zeilen via Twitter eben mal beim Frühstück globale Krisen auslösen kann. Trump steht für den Bürger als Bourgeois, dem Eigennutz immer vor Gemeinwohl geht.

Obama beschwor in seiner Abschiedsrede den anderen Typ des Bürgers, den Citoyen: „Es fällt uns allen zu, unsere Demokratie eifersüchtig und sorgenvoll zu hüten, die schöne, uns übertragene Aufgabe anzunehmen, kontinuierlich weiter zu versuchen, unser großartiges Land zu verbessern. Denn trotz aller äußerlichen Unterschiede tragen wir doch alle den gleichen stolzen Titel des wichtigsten Amts in einer Demokratie: Wir sind Staatsbürgerinnen und -bürger.“

Was hat das alles mit dem Abend der Begegnung am Sonnabend im Theater zu tun? Dort trafen sich evangelisch-lutherische Christen Meißens aus der Johannes- und der Afra-Kirchgemeinde und der Trinitatiskirchgemeinde, um das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen. Höhepunkte wie die Wiedereröffnung der Frauenkirche nach langer Sanierung und der Umzug ins Haus der Kirche am Markt kamen zur Sprache, aber auch die alltägliche Arbeit in den Gemeinden – vom Gottesdienst über den Musikkreis bis hin zu den Pfadfindern.

Da wurde klar, dass da Menschen versammelt waren, die ihr Glauben eint, aber noch etwas anderes: die Sorge um das Gemeinwohl, um das Wohlergehen ihrer Stadt. In diesem Sinne waren im Theater Citoyen – Bürger im guten Sinne des Wortes – versammelt.

Pfarrerin Renate Henke von der Johanneskirchgemeinde und Pfarrer Gerold Heinke von der Trinitatiskirchgemeinde hatten noch mehr Luther zu bieten: „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen.“ Und: „Fortschritte machen, ist nichts anderes, als immer wieder neu zu beginnen.“