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Die Waldarchitektin

Revierförsterin Annette Schmidt-Scharfe muss ihren Wald fit machen für die Zukunft. Das heißt vor allem: mehr Vielfalt.

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© Dirk Zschiedrich

Von Dirk Schulze

Sächsische Schweiz. Annette Schmidt-Scharfe breitet eine historische Forstkarte auf der Motorhaube aus: der Sebnitzer Wald 1924. Fast die komplette Fläche ist in verschiedenen Grautönen schraffiert. Grau steht für die Fichte. Eine zweite Karte zeigt das gleiche Waldgebiet im Winkel zwischen der Kunstblumenstadt Sebnitz und der tschechischen Grenze gut 80 Jahre später: Grüne Streifen durchziehen die Fläche – das ist die Buche. Dazu gelbe und rote Flecken – Eiche und Lärche. Dieser Wandel ist bereits das Ergebnis der Arbeit ihrer Vorgänger, erklärt die Revierförsterin. Waldumbau ist eine Generationenaufgabe. In Zukunft muss die Karte noch bunter aussehen, daran arbeiten Annette Schmidt-Scharfe und ihre Kollegen tagtäglich. „Wir bereiten den Wald jetzt auf das vor, was in fünfzig bis hundert Jahren kommt.“

Seit Annette Schmidt-Scharfe vor zehn Jahren das Revier Unger im Forstbezirk Neustadt übernommen hat, heißt das vor allem eins: den Wald fit machen für sich verändernde und extremer werdende Klima- und Wetterbedingungen. Noch während ihrer Ausbildungszeit gegen Ende der 1980er-Jahre wurde kaum etwas anderes als Fichten und ein paar Kiefern gepflanzt, erinnert sich die heute 45-Jährige. So sahen die Wälder in den vorangegangenen Jahrzehnten auch aus: die oft beschriebenen Fichten-Monokulturen.

Bäume für harte Zeiten

Das Problem daran ist nicht nur die mangelnde Artenvielfalt, sondern auch die gleichförmige Altersstruktur der großflächig zur gleichen Zeit gepflanzten Bäume. Wenn sie heute auf fünf Hektar nur alte Fichten stehen hat, dann ist das wie ein Seniorenheim erklärt die studierte Revierförsterin. Alten Bäumen ergeht es nicht anders als älteren Menschen, der Stoffwechsel ist nicht mehr so aktiv, sie werden anfälliger für Krankheiten. Im Fall der Fichten heißt das, sie produzieren weniger Harz und können den Borkenkäfer schlechter abwehren. Ein gesunder Wald sollte für Annette Schmidt-Scharfe hingegen so sein wie eine Familie: Mutter, Vater, Kinder, Großeltern. Im Revier von Annette Schmidt-Scharfe werden vor allem Weißtannen angepflanzt, die bereits früher hier heimisch waren. Sie wurzeln tiefer, können deshalb einen Sturm besser abhalten und längere Trockenzeiten überstehen, weil sie bis an die tiefer liegende Feuchtigkeit heranreichen. Auch die Lärche ist attraktiv, nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Sicht. Als Baumarten der Zukunft gelten außerdem Buche und Eiche. Eichen sind Sturmbrecher, weil ihre Wurzeln noch tiefer wachsen. Ihr herabfallendes Laub wirkt zudem wie Dünger auf den Waldboden.

Annette Schmidt-Scharfes Ziel sind mindestens fünf verschiedene Baumarten auf einer Fläche, besser noch wären zehn. Denn niemand kann exakt vorhersagen, wie sich das verändernde Klima auf die einzelnen Arten auswirkt. Je größer die Vielfalt, desto größer die Widerstandsfähigkeit des Waldes. Die Revierförsterin nennt ein passendes Sprichwort zur Erklärung: „Wer breit streut, rutscht nicht.“ Junge Buchen wachsen im Sebnitzer Wald mittlerweile von allein nach. Das eine Besonderheit, über die sich Förster auf der linken Elbseite und im Osterzgebirge freuen würden. Annette Schmidt-Scharfe interpretiert das als ein Zeichen, wie sich die Natur von selbst auf die milder werdenden Temperaturen vorbereitet. Ihr Vater, der fünfzig Jahre lang als Förster gearbeitet hat, habe während seiner gesamten Dienstzeit versucht, den Buchenbestand in seinem Revier zu verjüngen. Doch die Bäume warfen nie Samen ab. Jetzt tun sie es.

Damit junge Buchen, Tannen oder Eichen nachwachsen können, müssen alte Fichten weichen. Ihre dichten Kronen nehmen dem Nachwuchs das Licht. Nicht im Kahlschlagverfahren wie zu DDR-Zeiten, heutzutage wird gezielt ausgedünnt. Jeden Baum, der umgesägt wird, hat die Revierförsterin vorher persönlich dafür ausgewählt. Ein bisschen sei ihr Beruf wie Gott spielen, hat mal ein Praktikant zu ihr gesagt, erzählt Annette Schmidt-Scharfe. Sie selbst würde sie sich zu einer solchen Aussage nicht versteigen. Aber etwas ist was dran, befand sie nach einigem Nachdenken. Sie entscheidet darüber, welcher Baum gehen muss und welcher bleiben darf. Die Revierförsterin vergleicht ihre Arbeit eher mit der einer Architektin. Sie muss den Wald so gestalten, dass er wohnlich und nutzbar ist für alle Pflanzen.