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Die wahre Illusion

Er steht hier. Er kann nicht anders. Nach harten Monaten wagt André Sarrasani einen Neuanfang.

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Von Henry Berndt

Kein Tiger weit und breit. Seine pubertierenden Großkatzen hat André Sarrasani lieber gleich zu Hause gelassen. Es gab ja schließlich genug negative Schlagzeilen in den vergangenen Wochen. Welche genau, daran werden die Premierengäste der neuen Show „Elements II“ gleich am Anfang erinnert. Während der Meister auf der Bühne in seiner angedeuteten Garderobe sitzt und sich gedankenverloren abschminkt, werden die Schlagzeilen verlesen: „Sarrasani meldet Insolvenz an“, „Schwere Vorwürfe gegen Sarrasani“, „Was wird nun aus Sarrasani?“. Zu dramatischer Musik erfährt der aufmerksame Zuhörer, dass die Sarrasani-Familie immer schon schwere Zeiten durchlebt hat. Am Ende ist die Stimme von Mutter Ingrid zu hören, die Mut macht und den großen Hans Stosch-Sarrasani zitiert: „Willenskraft Wege schafft.“

Raoul Schoregge spielt in der ersten Liga der deutschen Clowns.
Raoul Schoregge spielt in der ersten Liga der deutschen Clowns.

Hoch oben über dem Trocadero-Zelt steht an diesem Abend in großen Lettern: „Sarrasani spielt – heute und in Zukunft“. Unter der Kuppel sagt der Hausherr: „Wir haben es geschafft.“ Auch wenn er noch so viel Prügel eingesteckt habe, werde er seinen Traum nie aufgeben. Er habe Fehler gemacht, aber er habe doch niemanden umgebracht. „Ich werde nicht derjenige sein, der die 120-jährige Familientradition an die Wand fahren lässt.“ Dann bricht ihm die Stimme weg. Und er weint. Während ihm die Tränen in die Augen schießen, verharrt er einen Moment regungslos auf der Bühne und genießt den Trost spendenden Applaus seiner Gäste.

Wolles Werbeblock

Nur Augenblicke später ist er wieder der galante Gastgeber. André Sarrasani weiß: Nach seiner Insolvenz im Sommer hätte sein Zirkusleben auch zu Ende sein können. Doch er hat noch eine Chance bekommen. Der Insolvenzverwalter gab seinen Segen für eine Fortsetzung des Betriebs. Die Stadt Dresden ließ ihm nach langem Zögern seinen Zeltplatz am Hauptbahnhof, obwohl er auch bei ihr Schulden hat. Jetzt muss er liefern. Positive Schlagzeilen müssen dringend her. Es ist sein 44. Geburtstag. Geschenke kann er aber nicht erwarten.

Die Show beginnt mit einem Werbeblock. Unternehmer Wolle Förster hat ein Glücksrad für Sarrasani gebastelt. Zu gewinnen gibt es Sushi aus Wolles Laden und – man höre und staune – Freikarten für den Dresdner Weihnachts-Circus von Konkurrent Mario Müller-Milano. Um eine freiwillige Spende von einem Euro für jedes Drehen wird gebeten – zugunsten von kranken Kindern.

Der Untertitel des Abends heißt „Feu et l’Eau“ – „Feuer und Wasser“. Das Motiv zieht sich durchaus künstlerisch wertvoll durch das Programm, sei es bei den Feuerschleudern oder Akrobatik im Wasserglas. Auch das Essen von Fernsehkoch Marco Reeh bleibt im Bild. Die Vorsuppe garniert er mit feurigem Orangen-Chili, anschließend gibt es Buntbarsch aus der Oberlausitz. Während es in Sarrasanis neuer Theaterkneipe in Radebeul Sauerbraten für 5,50 Euro gibt, hat das viergängige „Gala-Dinner“ hier seinen Namen verdient. Um nicht zu sagen: Es ist ohne Zweifel der Höhepunkt des Abends.

Wer also mal richtig gut essen möchte und sich nebenbei eine kurzweilige, im besten Sinne nette Zirkusvorstellung anschauen möchte, der ist hier richtig. Wer dagegen „atemberaubende Nummern“ und „verblüffende Großillusionen“ erwartet, wie im Programm angekündigt, der dürfte das Zelt am Ende enttäuscht verlassen. Zu oft hat man schon gesehen, wie ein Zauberer Menschen in Kisten verschwinden und wieder auftauchen lässt. Wie angenehm erfrischend wirkt da doch eine Hellseher-Nummer, die André Sarrasani charmant mithilfe des Publikums und einer geheimnisvollen Kiste darbietet.

Eine Frage der Verantwortung

Aus seinen Möglichkeiten, quasi aus dem Nichts, hat er die Illusion eines Varietétheaters gezaubert. Das ist die wahre Zauberei des Abends. Und es ist ein Schritt nach vorn, auch wenn nicht zu übersehen ist, wo gespart werden muss. Die Musik kommt vom Band, die Kulisse ist karg und teure Weltsensationen bleiben aus. Auch die versprochene Neuerung von Darbietungen mitten im Publikum bleibt eine Randnotiz. Zu den Premierengästen gehört auch Zirkusikone Mario Müller-Milano. Sein Urteil über die künstlerische Qualität der Show ist wenig schmeichelhaft.

Entscheidend ist aber das Urteil der Massen, und die schenken dem Spaßmacher Raoul Schoregge durchaus einige Lacher. Als Clown spielt der Produzent des „Chinesischen Nationalcircus” hierzulande in der ersten Liga. Publikumsliebling Lloyd Kandlin, in den vergangenen Jahren als Clown Yello bekannt, ist dennoch weiter dabei, wenn auch in anderer Rolle.

Auch die chinesische Artistin Dou Dou und die Granadeiro Brothers im „Todesrad“ reißen zumindest die ausgewählten Premierengäste zu kurzen Jubelstürmen hin. Als nach vier Stunden der letzte Vorhang fällt, stehen die Leute längst – und das sicher nicht nur, um zu schauen, wo ihr Dessert bleibt. Bis zum 17. Januar wird André Sarrasani nun seine wichtigste Show spielen. Es liege jetzt in den Händen der Dresdner, ob und wie Sarrasani in Zukunft zu sehen sein wird, sagt der Gastgeber. Doch das stimmt nicht. Es liegt in seiner Hand.

Tickets für „Element II: Feu et l’Eau“ gibt es unter  0700 727727264 und auf www.sarrasani.de.
Das Verkaufsbüro am Wiener Platz ist von montags
bis freitags 9 bis 18 Uhr geöffnet.