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Die Wächter des Logenhauses

Zwei riesige Sphingen standen früher vor dem Freimaurergebäude an der Ostra-Allee. Sie galten als Kriegsverlust.

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© Sammlung Holger Naumann

Von Lars Kühl

Mit einem anonymen Anruf beginnt 80 Jahre nach dem Verschwinden die spektakuläre Rückkehr. „Bin ich hier richtig bei den Freimaurern?“, fragt die Stimme an einem Ende der Leitung. „Ja!“, antwortet die andere. „Wissen Sie, dass auf der Baustelle Herzogin-Garten eine Sphinx ausgegraben wurde?“ Elmar Vogel spürt ein Kribbeln. Könnte das wirklich sein? Der Stuhlmeister der Loge „Zum Goldenen Apfel“ informiert Frank Nitzsche, seinen Vorstandskollegen der Freimaurerstiftung Dresden. Der fährt auf die Baustelle direkt neben dem Zwinger. Dort sieht er von dem ungewöhnlichen Fund erst mal nichts. Als er nachfragt, zeigt der Bauleiter ihm etwas, das unter einer Plane versteckt ist. Nitzsches Aufregung steigt. Auch er ahnt es. Mit dem dritten Stiftungsvorstand Thorsten Schmidt durchforsten die drei Männer alte Fotos sowie historische Dokumente und vergleichen sie mit den Funden. Sie sind sich nun sicher, das sind die Überreste der Wächterfiguren des alten Logenhauses, welches an der Ostra-Allee 15 stand, bis es beim Luftangriff am 13. Februar 1945 zerstört wurde. Erst recht, als wenige Tage später ein zweiter Körper auftaucht. Beide bildeten Sphingen, also liegende Löwen mit Jungfrauenköpfen – typische Freimaurer-skulpturen. Sie stammen aus dem Ägyptischen und symbolisieren die Verbindung von Natur und Geheimnis. Sphinxen dagegen haben als menschenfressende Schreckensgestalten ihre Herkunft in der griechischen Mythologie.

Die Entdeckung der großen Sandsteinarbeiten liegt jetzt fast drei Jahre zurück. Sie ist eine Sensation. Inzwischen sind die Sphingen vollständig restauriert. Seit Mittwoch stehen sie vor dem neuen Logenhaus in Blasewitz. Doch wie haben ausgerechnet die Plastiken den Bombenhagel überstanden? Antwort gibt eine Flaschenpost, die ebenfalls auf der Baustelle zum Vorschein kam. Nachdem die Nationalsozialisten die Freimaurerei verboten und die Logen zwangsweise aufgelöst hatten, erhielt auch das Haus an der Ostra-Allee neue Nutzer. Es wurde zum Museum für Rassen-, Völker- und Tierkunde. Dessen Direktor war Michael Hesch. Er ordnete 1937 den Abbau der Sphingen an und ließ sie einfach im Hof liegen. Weil sie sehr groß sind, konnten die Wächterfiguren nicht ohne Weiteres weggeschafft werden. Deshalb vergrub man sie am 24. September 1942 einfach im benachbarten Park Herzogin-Garten.

Die Sphingen blieben reichlich 70 Jahre rund 1,5 Meter tief in der Erde, bis eine Baggerschaufel durch Zufall auf sie stieß. Nach der Freilegung waren zwar die Köpfe von den Körpern getrennt und auch sonst gab es die eine oder andere Abplatzung, trotzdem war eine vollständige Rekonstruktion möglich. Erst recht, als sich Monika von Wilmowsky bei den Freimaurern meldete. Sie forscht seit Jahren über Ernst Rietschel und will demnächst ein Gesamtverzeichnis der Werke des bedeutenden Bildhauers des Spätklassizismus herausbringen. In Dresden sind vor allem das König-Friedrich-August-Denkmal, welches heute auf dem Schlossplatz steht, oder die Carl-Maria-von-Weber-Bronzestatue auf dem Theaterplatz bekannt. Wilmowsky ordnet die Sphingen eindeutig Rietschel zu. Allerdings ging sie davon aus, dass sie Kriegsverlust sind, wie auch die Büsten Lehrling, Geselle und Meister, die einst die Fassade des Logenhauses schmückten und tatsächlich im Feuersturm verschwanden. War Ernst Rietschel also ein Freimaurer? Seine Nachfahren verneinen dies, liefern aber eine Erklärung, wie es zu dem Auftrag kam. Wahrscheinlich hat dies sein langjähriger Freund Constantin Carl Falkenstein eingefädelt. Der Hofrat und Königlich-Sächsische Bibliothekar war Meister vom Stuhl der Loge „Zum Goldenen Apfel“ und Ehrenmitglied der Loge „Zu den Drei Schwertern“. Als beide Freimaurerbünde vor 180 Jahren das repräsentative Haus an der Ostra-Allee bauen ließen, sollte Rietschel für die bildhauerische Verzierung sorgen.

Doch wie kam es, dass die Freimaurerstiftung die Sphingenreste zurückbekam und sie nicht, wie üblich, ins Depot des Landesamtes für Archäologie wanderten? Dabei erwies sich ein Passus im Vertrag von 2012 über den Verkauf des Grundstückes an den Investor als weitsichtig. Bodenfunde, die dem Logenhaus oder den Freimaurern zuzuordnen sind, gehören der Stiftung. Und so kam es, dass am 31. Juli 2014 das Telefon von Elmar Vogel klingelte.