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„Die Versteigerung war ein Krimi“

Die Lebenstraumgemeinschaft feiert Dienstag ihren 15. Geburtstag. Gegen Gerüchte muss sie sich noch immer wehren.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Jahnishausen. Die Gerüchte, die über die Lebenstraumgemein-schaft kursieren, lassen sich in einem Satz wie diesem zusammenfassen. „In Jahnishausen hat sich eine Sekte bestehend aus reichen Wessis eingenistet.“ Die gute Nachricht lautet: Die Gerüchte sind nach der Gründung vor exakt 15 Jahren schon deutlich schwächer geworden. Die Schlechte: So manches Märchen hält sich doch recht hartnäckig. „Dabei haben wir von Anfang an darauf geachtet, uns nicht abzuschirmen – öffentliche Veranstaltungen, Tage des offenen Tores oder dergleichen zu organisieren und uns mit der Stadtverwaltung und dem Stadtrat in Verbindung zu setzen“, sagt Gründungsmitglied Brigitte Reich.

Dass es dennoch Gerüchte gibt, wundert sie nicht. „Solche Geschichten entstehen immer, wenn man etwas Unbekanntem begegnet.“ Sie werde noch immer ab und an gefragt, ob in der Lebenstraumgemeinschaft alle in einem Raum schliefen oder ob alle Mitglieder tatsächlich ihr Eigentum mit dem Eintritt in die Gemeinschaft abgeben müssten. „Das ist natürlich Quatsch. Wir wohnen in ganz normalen Wohnungen, entweder allein oder in einer Wohngemeinschaft, und zahlen ganz normal unsere monatliche Miete an die Genossenschaft.“

Der Unterschied besteht unter anderem darin, dass man nicht „einfach so“ in das alte Gut einziehen kann. Die Gemeinschaft entscheidet nach einem Probejahr, ob die Person in die Gemeinschaft passt – und umgekehrt. Besitzer von Land und Gebäuden sind keine einzelnen Personen, sondern die Genossenschaft, der in der Regel alle Lebenstraumgemeinschaftler angehören. Je nach Sanierungsstand der Wohnung zahlen sie 3,60 Euro bis knapp sechs Euro kalt pro Quadratmeter – nicht mehr als der Riesaer Mietspiegel vorsieht.

„Mir fiel die Kinnlade runter“

Viel höhere Mieten könnten sich gar nicht alle Mitglieder leisten. „Es heißt ja mitunter auch, dass wir hier unglaublich reich seien, um das alles sanieren zu können“, sagt Inka Engler. „Viele sind mit dem eingestiegen, was sie auf der hohen Kante hatten – 10 000 oder 15 000 Euro vielleicht. Aber von Reichtum kann da keine Rede sein“, so die gelernte Hebamme. Wie bei anderen Bauherren auch werden die großen Baumaßnahmen mit Krediten finanziert – was anfangs gar nicht so leicht war.

„Das Projekt stand zu Beginn auf der Kippe, weil wir kein Geld von den Banken vor Ort bekommen haben“, erzählt Engler. Den ersten Kredit gab es schließlich von der Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken, kurz GLS – eine Genossenschaftsbank, die vor allem in Projekte in den Bereichen Soziales, ökologische Landwirtschaft oder Bildung investiert. „Erst nachdem wir dort unsere Seriosität unter Beweis gestellt hatten, bekamen wir auch Angebote von anderen Banken“, so Engler, die ebenfalls zu den Gründerinnen gehört. Genauso wie Ruth Dehmke – die Frau, die die Gemeinschaft überhaupt erst auf das Gut in Jahnishausen aufmerksam gemacht hat. „Ich bin in Oschatz geboren. Meine Urgroßeltern stammen aber aus Riesa.“

Sie zog jedoch noch weit vor dem Mauerbau nach Süddeutschland. Nach der Wende bekam ihre Familie das Haus der Urgroßeltern am Riesaer Marktplatz zurück und sanierte es. So landete Ruth Dehmke wieder in Sachsen. „Meine Nachbarin war die Immobilienmaklerin Inge Reinacher. Als sie hörte, dass wir ein Objekt für unsere Gemeinschaft suchen, hat sie gleich Jahnishausen ins Spiel gebracht.“ Also fuhr sie hin, um sich die Gemäuer anzusehen.

Doch was sie dort sah, versetzte sie nicht gerade in eine verheißungsvolle Stimmung: vernachlässigte Gebäude, ein zugewucherter Garten. „Angesichts der Tatsache, dass wir gerade erst ein ruinöses Haus saniert hatten, war ich nicht sehr begeistert.“ Auch andere hatten Bedenken. „Vor allem die Jüngeren unter uns wollten mehr Platz für Landwirtschaft“, erzählt Inka Engler.

Die Gruppe habe sich daraufhin getrennt. Die Jüngeren suchten sich ein Gebäude mit mehr Land in Brandenburg. Doch auch unter dem Rest verbreitete sich die Skepsis. Ist Jahnishausen tatsächlich der geeignete Ort? So richtig Fahrt nahm das Projekt erst wieder auf, als das Anwesen von der Treuhand versteigert wurde. „Unser Limit war 130 000 DM“, erzählt Ruth Dehmke. „Die Versteigerung in Dresden war ein Krimi. Außer uns boten noch ein Architekt aus Leipzig und eine Gruppe mit, die mit den Wettinern in Verbindung stand. Die Wettiner sind bei 50 000 Mark ausgestiegen. Der Architekt aber hat den Preis in die Höhe getrieben.“

Auch als das vereinbarte Limit schon überboten war, blieben die Lebenstraumgemeinschaftler noch dabei. „Irgendwann rief der Architekt dann: Ich muss mein Kind jetzt abholen. Und weg war er. Unser letztes Gebot lag bei 160 000 Mark.“ Ruth Dehmke musste den anderen schließlich beibringen, dass es doch etwas teurer geworden war. „Mir fiel die Kinnlade runter, als ich das hörte“, erinnert sich Inka Engler. Später sei das aber kein Thema mehr gewesen. „Wir haben einfach nach vorn geschaut.“ Keine der drei Frauen bereut den Schritt heute. Sie sind in Jahnishausen heimisch geworden – wie viele andere Westdeutsche auch, um auf das letzte Gerücht zu sprechen zu kommen.

Inzwischen leben knapp 50 Leute auf dem Gut. „Das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen ist mittlerweile fast ausgeglichen“, betont Inka Engler.