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Die vergiftete Hochzeit

In der Bautzener Theater-Inszenierung „Der Fall der Götter“ gibt ein junger Schauspieler sein sensationelles Debüt.

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© Theater/Miroslaw Nowotny

Von Rainer Kasselt

Bautzen. Nichts ist gut in der Familie des Stahlbarons von Essenbeck. Keiner traut dem anderen, täglich neue Lügen und Intrigen. Jeder drängt nach der Macht. Nur die Fassade stimmt. Die Herren im schwarzen Smoking, die Damen im feinen Abendkleid. Sie feiern den 70. Geburtstag des Firmenoberhaupts. Zwei kleine Mädchen sagen artig ein Gedicht auf. Musikstudent Günther spielt zu Ehren des Patriarchen eine Violinsonate von Bach. Die Feier nimmt ein jähes Ende. In Berlin brennt am 27. Februar 1933 der Reichstag.

An diesem Tag setzt das Stück „Der Fall der Götter“ ein. Die Bühnenfassung entstand nach dem Kinoklassiker „Die Verdammten“ von Luchino Visconti. Oberspielleiter Stefan Wolfram inszenierte am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen, am Freitag war die beeindruckende Premiere. Vor dem Hintergrund der Machtübernahme Hitlers wird der Verfall einer fiktiven Industriellenfamilie erzählt. Pate für die Essenbecks stand die Essener Krupp-Dynastie, eine Säule der Nazi-Rüstungsproduktion. Die Handlung spielt 1933/34. Die Figuren werden nicht karikiert, sondern mit ihren Stärken, Schwächen und Lastern gezeigt. Sie kämpfen mit Erpressung, Verleumdung und Gewalt um Einfluss im Konzern. Die Gesellschaft befindet sich im radikalen Umbruch, von der Demokratie in die Diktatur. Gewissen wird zum Hindernis. Es schlägt die Stunde der Aufsteiger und Moralverächter. Sophie von Essenbeck will ihren bürgerlichen Geliebten zum Chef des Stahlwerks machen und schärft ihm ein: „Bei Machtspielen gilt nur eine einzige Faustregel: Alles oder nichts!“ Die graue Eminenz des Stückes ist der SS-Hauptsturmführer von Aschenbach. Er sieht seine Zeit gekommen: „Heute ist in Deutschland alles möglich, sogar das Unwahrscheinlichste“, sagt er. „Wir stehen am Anfang einer Umwälzung weltweiten Ausmaßes.“ Sätze wie Menetekel.

Zuschauer kann selbst Schlüsse ziehen

Regisseur Wolfram vermeidet vordergründige Aktualisierung, kein Verweis etwa auf Pegida oder Trump. Der Zuschauer kann selbst seine Schlüsse ziehen. Die Inszenierung, nicht gefällig, sondern strikt und klar, setzt auf Text und innere Dramatik. Gespielt wird im Bühnenbild von Juan Leon. Der hohe, von steingrauen Quadern umschlossene Raum erinnert an eine Festung, aus der es kein Entrinnen gibt. Einspieler mit Liedern von Zarah Leander und der Chor „Heute gehört uns Deutschland. Und morgen die ganze Welt“ assoziieren den historischen Rahmen. Sie sind Erinnerung, Mahnung und Warnung zugleich.

Das gut besetzte Ensemble spielt überzeugend. Zwei Darsteller ragen heraus. Olaf Hais verkörpert einen brutalen, hemdsärmligen Machtkerl, der sich in der SA-Uniform sicherer als im Smoking fühlt. Ein Triebmensch, der sich von einem Diener massieren lässt und den eigenen Sohn gnadenlos demütigt. Die Entdeckung der knapp zweistündigen Aufführung ist Richard Koppermann, der auf den Bautzener Brettern ein sensationelles Debüt gibt. Er hat sein Schauspielstudium noch nicht beendet, gehört ab der nächsten Spielzeit zum Ensemble. Koppermann verkörpert die Figur des Universalerben Martin, lebt seine pädophilen Neigungen aus, wird schuldig am Tod eines missbrauchten Kindes, vergewaltigt seine verhasste Mutter. Schließlich zwingt er sie und ihren Bräutigam, den Hochzeits-Champagner mit Gift zu schlucken. Er ist Muttersöhnchen, Marionette und Mörder. Ob als winselndes Häufchen Unglück, im Kostüm von Marlene Dietrich als „fesche Lola“ oder als kaltblütiger SS-Mann: Richard Koppermann meistert souverän diese psychologisch verstörende Figur. Sigmund Freud hätte seine Freude dran.

Wieder am 12., 17. und 19. Mai, jeweils 19.30 Uhr.

Kartentelefon: O3591 584225. Am 5. Mai gastieren die Bautzener mit diesem Stück beim Sächsischen Theatertreffen im Dresdner Kleinen Haus.