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Die vergessenen Neusachsen

Zehntausende Ungarndeutsche kamen vor 70 Jahren als Vertriebene nach Pirna. Jetzt wird an ihr Schicksal erinnert.

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© SZ

Von Domokos Szabó

Pirna. Den Tag weiß Heinrich Oppermann noch ganz genau: Es war der 16. Mai 1948, als sein Zug aus Ungarn Pirna erreichte. Der 13-Jährige kam mit seiner Familie und ein paar wenig Habseligkeiten – als Vertriebener, wie Zehntausende andere Ungarndeutsche auch. Die meisten von ihnen landeten im Durchgangslager Graue Kasernen. Mit nun 82 Jahren steht Oppermann wieder vor dem nüchternen Bau. Er sagt: „Natürlich ist noch die Erinnerung da, aber es geht nicht mehr unter die Haut.“

Damit die Erinnerung nicht verblasst, gibt es hier seit Dienstag eine Gedenktafel für die 50 000 Männer, Frauen und Kinder, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen mussten. Ein historischer Abschnitt, der bis zuletzt selbst Pirnas Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke (parteilos) nicht mit allen Details bewusst war, wie er zur Enthüllung der Tafel sagte. Die Idee für den Erinnerungsort kam von Professor Oppermann und einem weiteren Dresdner, dem mittlerweile verstorbenen Professor Jakob Justus. Wirklichkeit wurde sie durch den Bundestagsabgeordneten Klaus Brähmig (CDU), der die Stadt Pirna und weitere Unterstützer mit ins Boot holte. Brähmig dankte nun nicht nur dem Gesandten des ungarischen Botschafters für seine Anwesenheit, sondern auch der Orban-Regierung. Diese hatte durchgesetzt, dass der 19. Januar als Tag der Erinnerung an die Vertreibung begangen wird.

Jens Baumann vom sächsischen Innenministerium erinnerte indes an „die Steine, die den Ungarndeutschen damals in den Weg gelegt worden sind“, und auch daran, woher die kamen. Die Beteiligung eines Teils der deutschen Minderheit an den Nazi-Verbrechen reichte aus, allen die Kollektivschuld zu geben. In ihrer neuen Heimat seien die Vertriebenen nicht nur Bittsteller gewesen. Sie hätten das Land so gestaltet, wie es heute ist. Jeder Fünfte in Sachsen war nach dem Krieg ein Flüchtling oder ein Vertriebener. Ein Fakt, über den heute kaum geredet wird. Damit schlug Baumann auch die Brücke in die Gegenwart: Integration könne nur gelingen, wenn die Neuankömmlinge eine Perspektive bekommen, sagte er. Heinrich Oppermann hat seinerzeit eine Perspektive bekommen. Er heiratete sieben Jahre nach seiner Ankunft in Sachsen, studierte und wurde später Professor für Chemie in Dresden. Nach der Aufstellung der Tafel empfindet er heute einfach nur: Genugtuung.