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Die Ungewollte

Vor gerade einmal 35 Jahren wurde die Querung über die Albertstraße gebaut. Heute ist sie dem Verfall preisgegeben.

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© SZ/Brigitte Anklam

Von Lars Kühl

In ein Brückenbuch hat sie es nie geschafft. Wird sie auch nicht mehr. Seit März ist die ausdrücklich für Fußgänger vorbehaltene Querung zwischen der Neustädter Markthalle und dem Staatsarchiv über der Albertstraße gesperrt. Der Beton bröckelte zuletzt immer mehr, einige Stufen waren nicht mehr trittfest. Auch wenn die mehrspurige Magistrale erst in gehöriger Entfernung am Albert- oder Carolaplatz sicher überquert werden kann, bleibt die Brücke abgeriegelt und verfällt weiter. Seit gut fünf Jahren steht fest, dass sie bei der geplanten Neugestaltung des Archivplatzes sowieso abgerissen und durch Fußgängerampeln ersetzt wird. Nur wann, das ist völlig unklar. Wie so oft fehlt das nötige Geld.

Das war vor 35 Jahren ganz anders. Die Verbindung hieß damals Straße der Einheit und war wie heute viel befahren. Der Bau einer Brücke für Fußgänger galt als wichtig, nicht nur für die Kunden der Kaufhalle in der Markthalle. Auch als sicherer Schulweg, wie sich SZ-Leser Siegfried Pretzsch erinnert. Er wohnt seit 1976 im Wohngebiet an der Straße der Befreiung, die heute wieder Hauptstraße heißt. Für seine Kinder war die meterhohe Querung über die Fahrbahn eine enorme Erleichterung.

Am 16. September 1980, einem Dienstag, wurde sie übergeben. Heinz Ullmann, damals Stadtrat für Verkehr- und Nachrichtenwesen, hatte die Ehre. Die 42,5 Meter lange Brücke wurde rege von den Passanten genutzt. Viele Dresdner hatten am 22. Juni desselben Jahres beobachtet, wie der stählerne Überbau errichtet worden war. Die Straße der Einheit war an diesem Sonntag komplett gesperrt. Um 6.30 Uhr setzte sich von der Pieschener Allee eine Kolonne mit Zugmaschinen in Bewegung, insgesamt 62 Meter lang. Ganz langsam arbeitete sich der Transport Meter um Meter über die Marienbrücke in Richtung Neustadt. Erst nach vier Stunden war er am Ziel. Dort warteten schon drei Kräne.

Nachdem der riesige Brückenüberbau vom Tieflader gehoben war, wurde er in die richtige Position eingeschwenkt und auf die bereits stehenden Pfeiler gesetzt. Das Ganze ging deutlich schneller als die diffizile Anlieferung und dauerte lediglich 40 Minuten. Danach musste nur noch justiert und kontrolliert werden. Weil die Arbeiter, hauptsächlich vom VEB Autobahnbaukombinat und dem Betrieb Brückenbau Dresden, bereits 15 Uhr fertig waren, konnte die Straße drei Stunden eher als geplant wieder freigegeben werden.

In den nachfolgenden Wochen wurden dann die Treppen anmontiert. Die Brücke bekam ihren Belag und die restlichen Geländer und Handläufe. Kollegen des VEB Licht und Kraft sorgten schließlich noch für ausreichende Beleuchtung.

35 Jahre später sind die Tage der Brücke gezählt. Das stählerne Stück DDR-Geschichte wird über kurz oder lang verschwinden. Dass solch ein Bauwerk überhaupt notwendig war, lag am Ausbau der Straße um 1970 als wichtiger Teil der Nord-Süd-Tangente zwischen Albertplatz und Hauptbahnhof. Nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg mussten große Teile der Gründerzeithäuser am Rand abgerissen werden. Die Fahrbahn wurde deutlich in Richtung Markthalle verbreitert. Künftig führten jeweils zwei Spuren in jede Richtung. Während die Straßenbahnschienen früher in der Mitte verliefen, wurden sie nun an die Westseite in einen eigenen, begrünten Gleiskörper verlegt.

So kennen die Dresdner heute noch die 50 Meter breite Straße, die seit 1991 wieder Albert heißt. Im Freistaat Sachsen wurde auf den ursprünglichen Zusatz „König“ als Verweis auf den Namensgeber der 1893 fertiggestellten Verbindung verzichtet. Im Übrigen befanden sich vorher auf dem Areal Kasernen. Auch der Jägerhof an der Köpckestraße wurde jahrzehntelang als solche genutzt. Als die Einheiten der Sächsischen Armee aber 1877 in die neu gegründete Albertstadt umzogen, war Platz für eine Neugestaltung der Flächen. Unter anderem baute Sarrasani bis 1912 ein Zirkushaus am Carolaplatz. Zur Lachnummer wird die Posse um die gesperrte Fußgängerbrücke wohl nicht, es ist eher ein Trauerspiel.