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Die Umleitungs-Experten von Görlitz

1 800 Straßensperrungen sind pro Jahr in der Stadt zu koordinieren, Filmdrehs inklusive. Das geht nicht immer ohne Ärger.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Die Umleitungen sind noch nicht mal das Hauptproblem. „Vor allem rufen die Leute bei uns an, wenn sie vor ihrem Haus ein Haltverbot haben. Das regt sie am Meisten auf“, sagt Diana Babick. Da sei es am Telefon auch schon zu Beschimpfungen gekommen. Die landen meist bei ihr und bei Gerald Semmling. Die beiden sind als Sachbearbeiter Verkehrssicherung für die Umleitungen im Stadtgebiet zuständig – gemeinsam mit ihrem Vorgesetzten Peter Frenes, dem amtierenden Leiter der Straßenverkehrsbehörde. Der weiß jedoch, dass im Rathaus nicht der komplette Ärger ankommt: „Die Schilderfirmen sind draußen im Einsatz, die erleben da viel mehr.“

Doch wer denkt, dass Diana Babick und Gerald Semmling alle Baustellen für das ganze Jahr kennen und nur noch die Umleitungen ausschildern müssen, der irrt gewaltig. Allein dieses Jahr sind es schon jetzt 600 Maßnahmen. Das betrifft Straßenbaustellen, aber auch Kraneinsätze, Haltverbote wegen Umzügen und Filmdrehs. „Voriges Jahr hatten wir über 1 800 Maßnahmen“, sagt Semmling. Manche sind lange im Voraus bekannt. Als Beispiele nennt er nicht nur Post- oder Demianiplatz, sondern auch die Straße Am Hirschwinkel. Die sollte im Jahr 2014 ausgebaut werden. Passiert ist das bis heute nicht. Solche Beispiele zeigen: Vieles ist zwar im Vorfeld bekannt, doch Pläne können sich ständig ändern. Und damit auch die Umleitungen.

Manche haben es sehr eilig

Das andere Extrem sind Leute, die am Dienstag mit einem Antrag auf die Behörde kommen und am Donnerstag schon loslegen wollen. „Die haben das große Ganze nicht so im Blick, die denken, sie geben halt einen Zettel ab und dann geht das seinen Gang“, sagt Peter Frenes. Oft seien das Leute, die ein Gerüst stellen wollen und keine Erfahrung mit Straßensperrungen haben. „Aufgrabungen der Stadtwerke sind aber auch darunter“, ergänzt Semmling.

Manchmal geht es tatsächlich schnell. Vor allem dann, wenn eine Baustelle keine großen Umleitungen oder Sperrungen nach sich zieht. Aber es gibt auch die anderen Fälle. Aktuelles Beispiel: Derzeit ist der Grenzweg wegen einer Baustelle der Stadtwerke voll gesperrt, die Umleitung verläuft über die Königshainer Straße. „Und dann kam plötzlich ein Antrag auf Sperrung der Königshainer Straße, um dort einen Trinkwasserhausanschluss zu bauen“, sagt Semmling. Das ging nun aber nicht, musste abgelehnt werden. Oder besser gesagt: Verschoben. In solchen Fällen gibt die Behörde den Zeitrahmen vor. So etwas passiert öfter. Derjenige, dessen Antrag zuerst vorliegt, ist in der Regel im Vorteil.

Die drei Umleitungs-Experten sind allesamt schon lange in der Straßenverkehrsbehörde tätig: Diana Babick (heute 47) seit 1994, Peter Frenes (50) seit 1993 und Gerald Semmling (59) gar schon seit 1992. Alle drei sind schon deshalb Experten, weil sie selbst hier wohnen und unterschiedliche Verkehrsmittel nutzen – dienstlich wie privat. Frenes lebt in Rauschwalde und ist beruflich zu Fuß, mit dem Dienstrad und dem Pkw unterwegs, privat mit Pkw, Fahrrad und dem Fahrschulwagen. Nebenberuflich ist er nämlich bei einer örtlichen Fahrschule angestellt. „Viele Beschwerden oder Nachfragen lassen sich auch auf einer Fahrschulrunde überprüfen“, sagt er. Semmling wohnt in der Nikolaivorstadt und kann somit sogar zu Fuß auf Arbeit gehen. Ansonsten nutzt er – beruflich wie privat – vor allem den Pkw. Diana Babick lebt in Girbigsdorf und nutzt beruflich den Pkw, privat neben dem Pkw auch das Fahrrad.

Doch was sagt das Trio zu den großen Straßenbaustellen, wird der Sommer in Görlitz wieder ein Stausommer? „Das ist schwer zu beurteilen“, erklärt Diana Babick: „Wir wissen zwar, was in Planung ist, aber nicht, was davon tatsächlich kommt und vor allem, wann.“ Und genau das macht die Arbeit kompliziert. Deshalb liegen eben nicht am Anfang des Jahres Pläne vor, die alle nötigen Umleitungen des Jahres beinhalten und aufeinander abstimmen. „Wenn das so einfach wäre, wäre es natürlich schön“, sagt Diana Babick.

Bekannte Großbaustellen sind zum Beispiel der frühere Busbahnhof am Demianiplatz und der Postplatz. Beide sind aber – was die Umleitungen betrifft – überschaubar. „Dramatisch wird es mit der Decklagenerneuerung in der Reichenbacher Straße“, blickt Frenes voraus. Betroffen ist der Abschnitt vom Kreisel Wiesbadener Straße bis einschließlich Kreuzung Karl-Eichler-Straße. Gebaut wird unter halbseitiger-, dann unter Vollsperrung. Der genaue Termin steht noch nicht fest, aber trotzdem gab es schon Vorgespräche. Ein Problem: Sowohl A-Bus als auch B-Bus sind betroffen. Die Verkehrsgesellschaft muss sich langfristig vorbereiten – und sie will, dass möglichst in den Sommerferien gebaut wird, wenn keine Schüler zu befördern sind. Doch bevor es überhaupt losgehen kann, müssen auch Fußgängerinseln zurückgebaut werden. All das muss von vornherein entsprechend eingetaktet werden.

Bahnhofstraße ist noch ungewiss

Zudem hat die Behörde auch die Bahnhofstraße auf dem Schirm. Ob dort der Ausbau dieses Jahr beginnt oder doch erst Anfang 2018, ist noch ungewiss. Und dann wäre da noch die Zittauer Straße in Weinhübel. „Die ist ein Sonderfall“, sagt Frenes. Soll heißen: Es ist die einzige Baustelle, bei der alle Pläne und Umleitungen schon fix und fertig ausgearbeitet existieren. Das liegt daran, dass schon 2016 gebaut werden sollte. Das ist dann aber nicht passiert. Jetzt kann es nicht losgehen, weil die B 6 ausgebaut und die Zittauer Straße als Umleitungsstrecke benötigt wird, zumindest bis August. Und danach? „Beschlossen ist es, aber ob es tatsächlich kommt, müssen wir dann sehen“, sagt Frenes. Darauf haben er und seine Mitarbeiter keinen Einfluss. Sie bauen ja nicht selbst, sondern koordinieren „nur“.

Viele Partner arbeiten zusammen

Wenn es um konkrete Baustellen geht, sind viele Partner beteiligt. Neben der Straßenverkehrsbehörde auch Bauamt, Stadtwerke, Verkehrsgesellschaft, Polizei, Feuerwehr, Bau- und Beschilderungsfirmen, teils auch einzelne Anlieger, zum Beispiel Großbetriebe. Und am Ende muss die Baufirma noch Müllentsorger und andere bedenken. „Der Außenstehende schimpft schnell mal, aber alle einzubeziehen, ist komplex“, sagt Frenes. Beratungen mit allen Beteiligten gibt es viele: Halbjährliche und Monatliche für den großen Überblick, dazu die vielen Kleinen für jede einzelne Baustelle. Folglich denkt sich nicht ein Einzelner die Umleitungen aus, sondern ein Kollektiv.

Und dann sind da noch die Filmdrehs. Aber die seien kein großes Problem, sagt Diana Babick: „Manche Filmteams sind inzwischen richtig gut organisiert.“ Da habe sich mit den Jahren manches verbessert: „Es kommen ja immer wieder die gleichen Scouts, die wissen schon, wie das Genehmigungsverfahren läuft.“ Und sie tragen Kompromisse mit, wenn manche Straßen eben nicht gesperrt werden können oder nur am Wochenende. Manchmal komme es bei den Dreharbeiten auch zu Verschiebungen, aber meist seien selbst diese planbar, zum Beispiel, wenn sich der gesamte Dreh um eine komplette Woche verschiebt.

An eine richtige Pleite, bei der die Umleitung überhaupt nicht funktioniert hat, kann sich das Trio nicht erinnern. „Kleinere Anpassungen vor Ort werden aber immer mal nötig sein“, sagt Frenes. Das könne ein zusätzliches Haltverbot sein oder eine weitere Markierung. Aber wenn ein wütender Bürger anruft und mit dem Haltverbot vor seinem Haus nicht einverstanden ist, dann ändert das meist nicht viel. „Wir können da nur versuchen, ihm die Hintergründe zu erklären“, sagt Semmling. Manch einer habe dann doch Verständnis. Und am Ende sind meist alle froh, wenn die Straße neu gemacht und fertig ist.

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