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Unsere Rezension: Die Tür bleibt zu

„Der Konsul“ am Görlitzer Theater schafft es, einen hochaktuellen Stoff und anspruchsvolle, zeitlose Oper zu vereinen.

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© Theater/Marlies Kross

Von Marcel Pochanke

Eine Frau bittet um Hilfe, aber die rettende Tür in das Nachbarland bleibt verschlossen. „Sie gehören nicht zu uns. Sie sind falsch bei uns.“ So geht es zu in der Oper „Der Konsul“, die am Sonnabend am Görlitzer Theater Premiere hatte. Die Vorstellung war, das hatte das Theater im Vorfeld kommen sehen, weniger gut besucht als vergleichbare Opernpremieren. Aber aktuelle Politik auf der Bühne, in einem ziemlich unbekannten Werk, das ließ wohl manchen Besucher zögern.

Dass es beim Konsul, der eine Flüchtlingsgeschichte verhandelt, vor allem um aktuelle Politik geht, ist allerdings ein Missverständnis. Schließlich wurde die Oper von Gian Carlo Menotti 1950 in den USA geschrieben, und das Thema der Hilfesuchenden, denen aus diversen Gründen keine Hilfe gewährt wird, ist noch wesentlich älter und zeitlos. Demnächst werden wir vor dem Hintergrund einer vergleichbaren Geschichte das wichtigste Fest des Abendlandes feiern. Das Thema von „Der Konsul“ ist zutiefst menschlich und hat dabei erst einmal nichts mit politischen Präferenzen oder Einstellungen zu tun. Dieser Interpretation verschreibt sich die Görlitzer Aufführung unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti und der Regie von Dorotty Szalma konsequent.

Dabei hätte Szalma, Zittauer Schauspieldirektorin mit ungarischen Wurzeln, gerade allen Grund, die aktuelle Politik auf die Bühne zu holen – verweigert sich das osteuropäische Land unter der Regierung von Victor Orbán doch fast völlig dem gesamteuropäischen Flüchtlingskonsens. Was dort geschieht, untergrabe die Fundamente der Gemeinschaft, heißt es dazu im Görlitzer Programmheft.

Das ist auch der Vorwurf an die herzlose Bürokratie, um die es im „Konsul“ geht. Dabei ist eben jener Konsul nie zu sehen, den Magda Sorel sprechen will, in der Hoffnung, das unsicher gewordene Land verlassen zu können Gibt es ihn? Die Situation erinnert an Kafkas Schloss, nur dass Magda im „Konsul“ irgendwann nicht länger stillhält. Das Herz geht ihr schließlich über, die Akten mit all den Namen flattern durch die Luft. Patricia Bänsch setzt hier mit einer famos-furiosen Arie einen wirklichen Glanzpunkt und erntet hochverdienten Szenenapplaus. Ihre Hauptrolle strahlt viel Gefühl und Entschlossenheit aus, ihre Stimme verrät nichts von der Unsicherheit des Landes, das sie verlassen will, ja muss. Ein Höhepunkt ist auch das Duett der Sopranistin mit Ji-Su Park. Es ist die Liebesszene des bedrängten Paares Sorel, die früh im Stück stattfinden muss, denn von jetzt an steht die ersehnte Flucht im Mittelpunkt. Beate Maria Vorwerk als Magdas Schwiegermutter trägt mit ihrem warmen Mezzosopran zur gefühligen Stimmung bei – im besten Sinne. Hier sind Menschen betroffen, und so lässt Szalma auch die anderen Figuren auftreten: Hans-Peter Struppe gibt einen Mr. Kofler, dessen ewiges Warten im Saal fast schmerzlich spürbar wird. Thembi Nkosi darf als Zauberer Nika Magadoff wirkliche Magie vorführen und das Publikum verblüffen – angelernt wurde er von den Görlitzer Magie-Größen Vincent Frommer und Thomas Majka. Auch Magadoff ist, bei aller verspielter Lebenslust, vor allem ein weiterer Name auf der Liste: „All die Namen – es sind die gleichen Geschichten“ singt Anna Werle. Sie wird für ihren Part der strengen Beamtin, die sich dann doch vom Schicksal der Wartenden erweichen lässt, vom Publikum gefeiert. Die Görlitzer Inszenierung atmet hier viel Leben, setzt auf Person statt Politik.

Die große Welt mit ihren Millionen Wartenden, den Türen, die verschlossen bleiben, den Fluchten von Menschen, die sich ihres Lebens nicht mehr sicher sein können, dringt zwischen den Szenen über großflächige Videos von Adam Synyszyn in den Saal. Da spannt sich der Bogen von der Vertreibung aus dem Paradies über Verfolgungen, die in Europa im Namen des Christentums und später, im 20. Jahrhundert, der Überlegenheit einer Rasse, stattfanden. Erst am Schluss sind Flüchtlingsboote im Mittelmeer und Menschen auf den Zäunen an den Außengrenzen der EU zu sehen – Bilder, die allzu schnell ihren Platz im kulturellen Gedächtnis gefunden haben als Bilder, die doch von der Einzigartigkeit der Schicksale nichts sagen. Nicht nur diese Intermezzi werden von der Neuen Lausitzer Philharmonie unter Andrea Sanguineti mit größter Hingabe gespielt. Das Orchester erweist sich unter dem Italiener einmal mehr als echter Geschichtenerzähler, treibt die Handlung voran, mit viel jazzigem und dennoch präzisem Blech vor allem, da zeigt sich die amerikanische Handschrift in der Komposition aus den 50er Jahren. Die tragenden Passagen bekommen ihren notwendigen Anteil Schmelz, nie aber so, dass es unstimmig oder bräsig würde. Die Beteiligten wollen diese Geschichte unbedingt erzählen, das wird spürbar, und sie tun das mit bemerkenswertem künstlerischen Gehalt und Charme.

So wenig, wie John Sorel, der Freiheitskämpfer, der in „Der Konsul“ fliehen muss, Angst hat bei dem, was getan werden muss, hat das Gerhart-Hauptmann-Theater Angst vor der „Flüchtlingskrise“ als Publikumsbremse. Das Thema ist da draußen. Haltung wird verlangt. Dazu will und kann das Stück beitragen, ohne den Holzhammer herauszuholen. Denn zunächst ist es eine musikalisch tolle Oper.

Was kann das Stück darüber hinaus? Vielleicht nichts verraten, was wir nicht schon wissen. Aber es macht anschaulich, worum es im Angesicht der kalten Autoritäten geht: Menschlichkeit, Überwindung des Nummerndaseins. Magda Sorel kann im „Konsul“ nicht gerettet werden, weil sie eine von vielen ist. Als wäre das ein Grund.

Wieder am Freitag und Sonnabend, je 19.30 Uhr. Außerdem am 3.12 und 15.12. In Zittau ab März.

Kartentelefon: 03581 474747