Merken

Die Treuhand wirkt bis heute nach

Es gab kein historisches Vorbild, keine Blaupause. Und es war eine gigantische Aufgabe: der Umbau einer zum großen Teil maroden Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft. Die Mammutanstalt, die das organisierte, wurde vor 25 Jahren gegründet.

Teilen
Folgen
© dpa

Von Andreas Hoenig

Berlin. Fabrikhallen stehen leer, Fenster sind eingeschlagen, auf den Wegen wuchert Unkraut. Einst stand hier, in Magdeburg-Buckau, ein riesiges Industriekombinat: das VEB Schwermaschinenbau-Kombinat „Ernst Thälmann“ (Sket) mit 30 000 Beschäftigten. Heute sind es in mehreren Nachfolgegesellschaften mehrere Hundert. Teile des großen Geländes wurden zu einem Industriepark umgebaut. Es ist auch das Erbe einer „Jahrhundertaufgabe“: der Umwandlung der DDR-Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft. Den Übergang organisierte eine Superbehörde, die bis heute höchst umstritten ist: die Treuhand.

Die Idee der Treuhandanstalt, deren Gründung am 1. März 1990 von der letzten SED/PDS-Regierung unter Hans Modrow beschlossen wurde, war zunächst: Das Volksvermögen sollte zusammengehalten und später die Bürger daran beteiligt werden. Doch der Charakter änderte sich, als drei Monate später die Volkskammer einem Treuhand-Gesetz zustimmte: Nun ging es um die Privatisierung des volkseigenen Vermögens.

Eine „höchst undankbare Aufgabe“

Die Ausgangslage aber war alles andere als günstig. Die DDR-Wirtschaft war in großen Teilen marode, viele Industrieanlagen waren veraltet. Dazu waren die Absatzmärkte im Ostblick weggebrochen. Die Treuhand habe eine „höchst undankbare Aufgabe“ gehabt, sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Seibel von der Uni Konstanz. „Sie musste das volkseigene Vermögen verwalten und damit auch die Erblast von 40 Jahren Planwirtschaft und Misswirtschaft übernehmen.“

Dazu kam der „D-Mark-Schock“. Die Währungsunion am 1. Juli 1990 mit einer Umstellung der Löhne und Gehälter im Kurs von 1:1 belastete die Betriebe massiv, viele Firmen waren über Nacht nicht mehr wettbewerbsfähig. Vorsitzender des Treuhand-Verwaltungsrats wurde ein westdeutscher Top-Manager: Detlev Rohwedder, Vorstandschef des Dortmunder Stahlkonzerns Hoesch. Nach der Ermordung Rohwedders im April 1991 durch die RAF folgte ihm Birgit Breuel.

Die Strategie der Treuhand folgte offiziell einem Dreiklang: „Schnell privatisieren, entschlossen sanieren, behutsam stilllegen.“ Und dies möglichst schnell: „Denn jeder Tag, an dem ein maroder Betrieb nicht privatisiert oder liquidiert wurde, kostete das Geld des Steuerzahlers“, sagt Seibel.

Am Ende ein Verlust von 250 Milliarden D-Mark

Bis zur Auflösung der Treuhand Ende 1994 wurden rund 3 500 von insgesamt etwa 14 000 Betrieben im Treuhand-Portfolio abgewickelt. Die Treuhand wies einen Verlust rund 250 Milliarden D-Mark aus. Hunderttausende Jobs gingen verloren. Die Treuhand habe die „Drecksarbeit der Abwicklung“ erledigt, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel - politisch die Weichen gestellt aber habe die Bundesregierung.

Im Gedächtnis blieben vor allem die spektakulären Fälle der Treuhand: Die umstrittene Auflösung der Fluggesellschaft Interflug und der von dubiosen Begleitumständen überschattete Werften-Verkauf. Oder der verzweifelte Kampf der Bergleute in Bischofferode gegen die Schließung ihres Kaliwerkes - und angebliche Schmiergeldzahlungen beim Verkauf der Leuna-Raffinerie an den französischen Mineralölkonzern Elf Aquitaine.

Bis heute umstritten ist vor allem die Strategie der Superbehörde. Hauptkritik: Die Treuhand hat zu schnell stillgelegt und zu wenig saniert. „Die Betriebe hätten viel mehr Zeit für eine Sanierung gebraucht“, sagt Hickel. Es habe kein strukturelles Konzept gegeben. Westdeutsche Kapitalinteressen hätten dominiert. „Die westdeutsche Konkurrenz hat zweierlei versucht, beispielsweise im Stahlbereich und im Maschinenbau: entweder Betriebe zu übernehmen als verlängerte Werkbank - oder die drohende Konkurrenz zu vernichten.“ Auch der Wirtschaftswissenschaftler Jan Priewe von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin meint, es hätte wesentlich mehr Geld in die Sanierung der Betriebe gepumpt werden sollen.

Ost-Wirtschaft noch immer im Aufholprozess

„Wenn eine komplette Wirtschaft zu einem Zeitpunkt auf den Markt geschmissen wird, dann drückt das natürlich die Preise“, sagt der Historiker André Steiner vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. „Dazu kam der Zeitdruck. Die potenziellen Investoren hatten alle Karten in der Hand.“ Die Treuhand habe „gewaltige psychologische Schäden hinterlassen“.

Und heute? Im Osten gibt es Erfolgsgeschichten wie etwa den Technologiekonzern Jenoptik, hervorgegangen aus einem DDR-Kombinat. Insgesamt aber befindet sich die Ost-Wirtschaft nach wie vor in einem Aufholprozess. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt in den neuen Bundesländern ohne Berlin liegt deutlich unter West-Niveau, die Arbeitslosigkeit ist im Schnitt höher als im Westen. Im Osten gibt es so gut wie keine Konzernzentralen, kleine und mittlere Unternehmen dominieren. Aber, sagt der Politologe Seibel: „Es ist nicht dazu gekommen, was damals viele befürchtet haben, dass der Osten deindustrialisiert wurde.“ (dpa)