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Täter stammen meist aus der Familie

Der Bundestag hat das Sexualstrafrecht verschärft. Wohin können sich die Opfer in Dresden wenden?

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© Claudia Hübschmann

Von Julia Vollmer

Kerstin Noack kann bis heute nicht an ihrem Elternhaus in Prohlis vorbeilaufen. Jahrelang hat ihr Vater sie sexuell missbraucht. Erst jetzt, mit 42 Jahren, kann und will sie endlich darüber sprechen. Über den Missbrauch, der fast 30 Jahre zurückliegt. Ihrem Job kann sie wegen einer schweren Depression nicht nachgehen.

Kerstin Noack ist ein typischer Fall, erzählt Karin Isaak von der Frauenberatungsstelle „Sowieso“. Viele Frauen sprechen mit der Sozialpädagogin erstmals überhaupt über ihre Erfahrungen mit psychischem Missbrauch und sexueller Gewalt. Zu groß ist die Hemmschwelle, sich Freunden oder den Verwandten anzuvertrauen. Da immer noch der größte Teil der Täter aus dem Umfeld der Opfer stammt, wagen sich viele Frauen nicht, in der Familie darüber zu sprechen, so Isaak. Die Sozialpädagogin erlebt oft, dass sich die Verwandten eher mit dem Täter als mit dem Opfer solidarisieren. „Das kann ich mir nicht vorstellen“ oder „Jetzt hab dich doch nicht so“ bekommen die Frauen zu hören. Donnerstags bietet der Verein von 15 bis 18 Uhr eine Krisensprechzeit auf der Angelikastraße 1 an. Spontan und anonym können die Opfer kommen und reden. Andere Termine erhält man innerhalb von zwei Wochen. „Oft sprechen sie erst über Probleme im Job oder mit der Gesundheit, erst wenn sie Vertrauen gefasst haben, kommen Vergewaltigungen durch Väter, Onkel oder Freunde zur Sprache“, so Isaak. Einfach zuhören – das ist die Devise des Frauenvereins. Ein Urteil fällen oder Ratschläge geben, das sei nicht ihre Aufgabe. „Die Frauen sind Expertinnen für sich selbst.“ Viele Opfer könnten seit Jahren nicht arbeiten, würden unter Depressionen, Angst- oder Essstörungen leiden. Der Verein vermittelt Therapien.

Die Zahl der sexuellen Übergriffe in Dresden ist in den letzten zehn Jahren leicht zurückgegangen. Für das erste Halbjahr 2016 meldet die Polizei 139 Straftaten, die aber in der Statistik nicht genauer aufgeschlüsselt sind. Darunter vier Vergewaltigungen oder schwere Fälle von sexueller Nötigung. 2006 wurden in der Kriminalstatistik insgesamt 348 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung erfasst. Darunter waren 49 Vergewaltigungen. Die Verschärfung des Sexualrechtes soll die Verurteilung der Täter erleichtern. Bisher konnten diese nur belangt werden, wenn sie Gewalt angedroht oder angewendet hatten.