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Die Sorgen der Migranten-Betreuer

In den Beratungsstellen im Landkreis Görlitz wird schon heute ehrenamtlich gearbeitet. Nächstes Jahr wird es kaum besser.

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© Rafael Sampedro

Von Jan Lange

Dirk Hauptmann, Dilber Akcay und Anne Teichgräber bekommen eine gute Nachricht von ihrer Chefin Ilka Kerber: Es geht weiter. Auch im kommenden Jahr werden die drei in der Migrantenberatung des Vereins „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ (Vbff) tätig sein. Und das, obwohl der Zittauer Verein dafür keine Förderung bekommt. Die Vbff-Chefin hält dennoch an der Betreuung von Flüchtlingen fest, die er seit Oktober 2015 leistet. Auch, weil sie sie für notwendig hält. Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, meint Frau Kerber, die zum sozialen Frieden beitrage.

Das Beratungsangebot werde aber auch stark nachgefragt, fügt sie hinzu. Der Bedarf sei sprunghaft gestiegen. Das sehen die Ausländer- und Integrationsbeauftragten der ostdeutschen Bundesländer genauso. Die Zielgruppe für Migrationsberatung habe sich seit dem Sommer erheblich vergrößert, wie sie in einem Brief an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erklären. Ein Grund dafür ist der Anstieg von Flüchtlingen, die einen dauerhaften Aufenthalt bewilligt bekommen.

Der Vbff betreut derzeit sechs Familien. Das klingt im ersten Moment nicht viel. Aber der Beratungsbedarf sei ganz unterschiedlich, betont Ilka Kerber. Wenn einer ihrer Mitarbeiter mit einem anerkannten Flüchtling auf Wochnungssuche gehe, dann müsse man sich in einer Woche mindestens vier Wohnungen ansehen, nennt die Vbff-Chefin ein Beispiel. Mit der selben Person gehe man dann noch zum Sozialen Möbelmarkt, um die neue Wohnung auch entsprechend auszustatten, fügt Frau Kerber hinzu. Dilber Akcay war jüngst mit einer der betreuten Ausländerinnen mehrere Stunden im Kreißsaal, weil die Frau kaum ein Wort Deutsch spricht. Die gebürtige Türkin macht den Job bisher ehrenamtlich, für eine kleine monatliche Aufwandsentschädigung. Daran wird sich auch im kommenden Jahr nichts ändern.

Ilka Kerber ist angesichts dieser Situation schnell auf 180. Von der großen Politik werde zwar immer wieder von einer notwendigen Integration gesprochen – diese Aufgabe werde aber nicht mit dem nötigen Geld ausgestattet, kritisiert die Vbff-Chefin. Es werde vorausgesetzt, dass die ehrenamtlichen Strukturen aus dem Jahr 2015 einfach weiterfunktionieren. Die ganze Woche ohne Bezahlung für Flüchtlinge da sein, könne man auf Dauer von niemanden verlangen, findet Frau Kerber. Ihre Mitarbeiter erledigen die Aufgabe mit Herzblut und Engagement, auch wenn sie dafür nur eine geringe Ehrenamtspauschale bekommen. „Aber es sind junge Leute, die auch mal richtiges Geld verdienen wollen“, sagt die Vbff-Chefin.

Künftig reicht es nicht mal mehr für die Ehrenamtspauschale. Deshalb wird der Vbff nächstes Jahr Geld, das er an anderer Stelle verdient, einsetzen, um die Beratungsstelle zu erhalten. „Das kann nicht Sinn und Zweck sein“, findet sie. Der Landkreis Görlitz und die Stadt Zittau müssten, fordert sie, auch ein paar Euros in die Hand nehmen, um die Migrantenbetreuung mitzufinanzieren. „Der Oberbürgermeister will ja auch, dass Flüchtlinge in Zittau wohnen“, sagt sie. Bisher wird die Migrationsberatung vom Bundesamt finanziert. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) Löbau hat eine halbe Stelle für das gesamte Gebiet Löbau und Zittau bewilligt bekommen, wie DRK-Geschäftsführerin Silke Seeliger mitteilt. Angesichts der Anzahl der anerkannten Flüchtlinge und Migranten mit guter Bleibeperspektive reiche die nicht aus. Schon jetzt habe die Migrationsberatung des DRK ihre Kapazität erreicht und sogar überschritten, erklärt Frau Seeliger. Die Löbauer Mitarbeiterin Kerstin Groß berät einen halben Tag pro Woche Flüchtlinge in Zittau. Das reiche aus Sicht der Migranten-Betreuer hinten und vorne nicht aus.

Auch deshalb fordern die ostdeutschen Ausländer- und Integrationsbeauftragten, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine bedarfsgerechte Förderung sicherstellen soll. Die Gelder im Bundeshaushalt für Migrationsberatung seien zwar erhöht worden, wodurch auch neue Standorte eröffnet oder bestehende verstärkt werden konnten, allerdings kam diese Erweiterung kaum in den ostdeutschen Bundesländern an.

Beratungsstellen, die nicht einmal mit einer Vollzeitstelle ausgestattet sind, seien im Osten keine Seltenheit, beschreiben die Länderbeauftragten die Situation. Die vorhandenen Standorte sind stark überlastet, die Wartezeiten werden immer länger, die Mitarbeiter arbeiten seit Langem am Rande ihrer Leistungskraft. „Diese Situation verschärft sich nunmehr zusehends“, beklagen die Ausländerbeauftragten in ihrem Schreiben an das BAMF. Die Beratungsinhalte, insbesondere durch die Herkunftsvielfalt und traumatisierte Flüchtlinge, ändern sich, die Aufgaben sind komplexer und aufwendiger geworden. Gerade in Ostdeutschland sei es nach ihren Worten wichtig, eine solide Ankommenskultur aufzubauen.

Ilka Kerber hält deshalb an der Migranten-Beratung ihres Vereins fest. Und sucht nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten. So fördert der Landkreis Sprachkurse und einzelne Aktivitäten wie Begegnungs- oder Sportveranstaltungen. Der Vbff hat davon schon 2016 profitiert und mit dem Geld zum Beispiel ein Fußballturnier von ausländischen und deutschen Kindern auf die Beine stellen können.