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Die Sopranistin aus dem Simson-Laden

Generationen von Mopedfahrern kennen Helga Bley aus einem einzigartigen Laden. Aber sie hat noch eine zweite Leidenschaft.

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© Sebastian Schultz

Von Luca Sing

Riesa. Der Laden von Joachim Bley in der Goethestraße hat längst Kultstatus erreicht. Hinter dem Tresen steht oft seine Schwester Helga. Vom Keilriemen fürs Auto bis zum Reifen für die Schwalbe: Was nicht vorrätig ist, bestellt sie gerne. Fahrzeugteilelisten sind aber nicht das Einzige, mit dem sich die Riesaerin regelmäßig beschäftigt: Jede Woche hält sie auch Noten in der Hand – denn sie singt im Kantoreichor. „Mittlerweile sind es fünf Jahrzehnte“, sagt sie. Dabei kam sie eher durch einen Zufall zum Chorsingen: „Ich war einmal zum Konfirmandenunterricht etwas zu früh dran. Da probte gerade noch die Kurrende“, erzählt die Sopransängerin. Der Kantor hatte sie dann gefragt, ob sie sich ein Notenbuch holen und mitsingen möchte. „Kurz darauf stand ich schon das erste Mal als Chorsängerin in der Kirche und habe im Gottesdienst gesungen. Das war im Januar 1968.“ Seitdem geht sie jede Woche zur Probe. Es gibt natürlich auch Tage, wo sie keine Lust hat. Sie gehe aber trotzdem, im Nachhinein hätte sie es noch nie bereut. Schwierig war es, als ihre Mutter gepflegt werden musste. „Damals konnte ich mir die Zeit für die Proben nur schwer nehmen.“ Aber auch in den kleinen Problemen des Alltags: Der Glaube, die Musik und die langjährigen Freunde aus dem Chor geben Halt und bringen Abstand zu den Problemen. An die Musik herangeführt wurde Helga Bley von ihrer Mutter. „Sie hat Klavier gespielt und dazu gesungen. Da macht man schon mit, als kleiner Butz“, sagt sie lächelnd.

Gelernt hat die gebürtige Riesaerin den Beruf der Industriekauffrau in der ehemaligen Schönherr-Mühle in der Bahnhofstraße. Als ihre Mutter 1984 aus dem Schlossereibetrieb der Familie altersbedingt ausschied, übernahm sie ihre Aufgaben. „Das Kaufmännische ist ja dasselbe, auch in die Technik bin ich schnell reingewachsen. Die Familie macht das ja schon über hundert Jahre, da bekommt man einiges mit.“ Früher verkaufte der Familienbetrieb noch Nähmaschinen, Fahrräder, Mopeds und Autos. Zu DDR-Zeiten gab es dabei oft Probleme: „Wenn ich bestellt habe, schickte ich eine acht A-4- Seiten lange Liste mit Teilen, klein mit Schreibmaschine beschrieben, ab. Geliefert wurden dann oft nur 100 von 400 Artikeln.“

Auch ein anderes Problem gibt es heute nicht mehr: „Man wurde früher oft abschätzig angesehen, wenn man im Kirchenchor sang.“ Wirklich gestört habe sie das aber nie. „Wenn man zu seinem Glauben steht, da ist das kein Problem“, sagt sie. Was die Chorsänger heute umtreibt, sind Nachwuchsprobleme. Viele der Mitglieder sind schon in höherem Alter, junger Nachwuchs sind rar. Aktuell hat der Chor etwa 45 Mitglieder.

An ihr erstes Konzert erinnert sie sich noch, als wäre es letzte Woche gewesen. „Das war bei den Kirchenmusiktagen 1968, da sangen wir Bachs Magnificat und die Krönungsmesse von Mozart.“ Beide Werke gehören zum Standardrepertoire des Chores. Helga Bley singt aber alles gern. Im Kalender gibt es feste Termine, wie die Serenade, das Weihnachtsoratorium oder das Passionskonzert. Letzteres steht am Sonntag wieder an, diesmal mit einem für den Chor neuen Werk. „Ich freue mich immer wieder auf neue Stücke. Das bringt Abwechslung.“ Musikalisch glanzvoll wird es auch bei diesem Konzert ganz bestimmt.

Passionskonzert in der Trinitatiskirche: Beginn: Sonntag 17 Uhr. Eintritt: 10 Euro, ermäßigt 8 Euro.