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Die Seele des Bieres

Nur knapp vier Wochen dauert die Erntezeit auf den Hopfenfeldern bei Bautzen. Zuvor brauchen die Pflanzen fast ein ganzes Jahr lang viel Aufmerksamkeit.

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© Steffen Unger

Von Miriam Schönbach

Auschkowitz. Die riesige Pflückmaschine macht ohrenbetäubendes Getöse. Jacek Wallis greift in den großen Haufen mit den grünen Hopfenranken und reicht sie weiter an seinen Kollegen Marek Pinias. Der Arbeiter der Taucherwald Agrar GmbH in Auschkowitz hängt die krautigen Reben kopfüber in einen Haken. Schon fördert ein Band sie nach oben. Peter Eisold wirft nur einen schnellen Blick auf die geübten Handgriffe. „Im Inneren dieser Apparatur sind Finger, die die Hopfenzapfen abkämmen. Sie fallen dann aufs Band, die Stängel und Blätter werden gehäckselt und kommen danach aufs Feld“, sagt der Geschäftsführer. Er muss weiter. Die Hopfenernte in seinem Betrieb läuft auf Hochtouren.

Auf 50 Hektar wachsen bei der Taucherwald Agrar GmbH in Auschkowitz sieben verschiedene Sorten Hopfen. Etwa 2000 Pflanzen stehen auf einem Hektar.
Auf 50 Hektar wachsen bei der Taucherwald Agrar GmbH in Auschkowitz sieben verschiedene Sorten Hopfen. Etwa 2000 Pflanzen stehen auf einem Hektar. © Steffen Unger
Hopfenmeister Thomas Zieschang im Trockenraum: Ein Förderband bringt den Hopfen aus dem Trockner in den Bunker, wo er vor dem Abpacken nochmals zwölf Stunden lagert.
Hopfenmeister Thomas Zieschang im Trockenraum: Ein Förderband bringt den Hopfen aus dem Trockner in den Bunker, wo er vor dem Abpacken nochmals zwölf Stunden lagert. © Steffen Unger
Der abgefüllte Hopfen wartet in großen Viereckballen auf den Weitertransport in die verarbeitenden Betriebe. Durch das Loch in der Folie kann ein Gutachter unter anderem die Qualität des Hopfens prüfen.
Der abgefüllte Hopfen wartet in großen Viereckballen auf den Weitertransport in die verarbeitenden Betriebe. Durch das Loch in der Folie kann ein Gutachter unter anderem die Qualität des Hopfens prüfen. © Steffen Unger

Die letzte Hopfenrebe verschwindet in der Pflückmaschine. Hopfenmeister Thomas Zieschang setzt mit seinem Traktor samt Anhänger rückwärts in die Halle, um eine neue Fuhre der streng duftenden und schlingenden Hanfpflanzen abzuladen. Die „Seele des Bieres“ nennen Brauer den Hopfen. Es wird angenommen, dass die Babylonier die Ersten waren, die um 2000 vor Christus mit ihm Getränke brauten. Ansonsten machte sich die Pflanze vorerst einen Namen als Gewürz oder für Heilzwecke. Denn in den Gerstensaft kamen anno dazumal Lorbeer, Salbei, Lavendel, Gagel- oder Laserkraut. Erst seit dem Mittelalter wird dem Biersud Hopfen beigemischt. Das Bayerische Reinheitsgebot beschreibt seit 1516 Wasser, Gerste und Hopfen als ein Muss beim Brauen.

Tradition seit 60 Jahren

Thomas Zieschang kommt aus seinem Traktor. Seit 1991 ist der 49-Jährige im Auschkowitzer Betrieb mit den Hopfenfeldern direkt an der Autobahn. „Eigentlich wollte ich immer im Ackerbau bleiben, aber an einem Sonntag vor nun fast 20 Jahren kam der alte Hopfenmeister vorbei und fragte mich, ob ich mir die Aufgabe vorstellen kann“, sagt der Landwirt. Den Wunsch kann er seinem Vorgänger nicht abschlagen. Er drückt in der Fachschule in Naumburg nochmals die Schulbank, lernt alles über Wachstum, Schädlinge und Verarbeitung. Seitdem kümmert er sich fast zwölf Monate im Jahr um den Wasser und gute Erde liebenden Hopfen. Seine Erntesaison geht noch etwa bis 24. September.

Die Hopfenpflückmaschine braucht Nachschub. Der Hopfenmeister springt auf seinen Traktor. Die Zugmaschine hat vorn zwei Greifarme. Ganz langsam wedelt er sich in eine Schneise auf dem Feld ein. Acht Meter hoch ranken sich die Pflanzen an Gerüsten in den blauen Spätsommerhimmel. Etwa dreißig Zentimeter über dem Boden werden die Stängel gekappt und über eine Kette nach hinten auf den Anhänger transportiert. 2 000 Pflanzen stehen hier auf einem Hektar. Insgesamt wachsen sieben verschiedene Hopfensorten auf den 50 Hektar von Peter Eisold. „Damit sind wir einer der größten Betriebe hier in der Region“, sagt der Agraringenieur.

Die Tradition des Hopfenanbaus in seinem Unternehmen reicht über 60 Jahre zurück. Anfang der 1950er-Jahre wird in der DDR beschlossen, den Aufbau von Hopfengärten staatlich zu fördern. Denn die wichtigste Zutat für das „Helle Blonde“ wird damals nahezu ausschließlich in Bayern angebaut. Das Bier wird knapp. Ziel ist es deshalb, das Land selbstständig mit Hopfen zu versorgen. Laut Elbe-Saale-Hopfenpflanzerverband wuchsen 1956 in 130 Betrieben auf 700 Hektar Hopfen. Zehn Jahre später hat sich die Fläche verdreifacht. Bis zur Wende produzieren 64 Betriebe auf knapp 2300 Hektar die wichtige Brauzutat. Danach gibt die Hälfte der Hopfenbauern auf.

Klangvolle Namen

Wieder kommt eine Ladung Hopfenranken bei der Pflückmaschine an. Die Neuanschaffung aus dem Jahr 1991 dröhnt derzeit in zweimal Elf-Stunden-Schichten mit Sondererlaubnis. Auch in Auschkowitz verabschieden sich seinerzeit die Verantwortlichen von der würzigen Pflanze. „Stattdessen wurden Mais und Weizen angebaut. Zum Glück blieb die Gerüstkonstruktion stehen“, sagt Peter Eisold. Der 29-Jährige leitet seit zwei Jahren das Agrarunternehmen mit sieben festen Mitarbeitern. In der Erntezeit kommen Saisonkräfte dazu. Neben dem Hopfen kümmern sie sich um 750 Hektar Ackerland.

Peter Eisold stellt sich in den kühlenden Hopfenwald. Er greift nach einer Ranke und zupft einen Zapfen ab. Das Gebilde ist fest und geschlossen. Das zeigt, dass er reif ist. Mit Daumen und Zeigefinger bricht er den grünen Blütenstand auseinander. In der Mitte zeigen sich kleine gelbe, leicht klebrige Kügelchen. „Das ist Lupulin. Dieses ätherische Öl hat eine äußerst beruhigende und entspannende Wirkung. Es ist der eigentlich wertvolle Bestandteil des Hopfens und der Träger seines Aromas“, sagt der Hopfenexperte und riecht an den Blättern. „Magnum“ heißt diese Sorte.

Hinter diesem lateinischen Namen für „Größe“ verbirgt sich ein Bitterhopfen. Er verleiht dem Bier die männliche Seite und typische Herbheit, während Aromahopfen für Wohlgeschmack sorgt. Jener hat so klangvolle Namen wie „Polaris“, „Amarilla“ oder „Mandarina“ – und wächst auch auf den Auschkowitzer Feldern. Über den Sortenanbau stimmt sich Peter Eisold mit Hopfenmeister Thomas Zieschang ab. Er bringt schon wieder eine neue Ladung mit Ranken. Knapp vier Wochen haben die Hopfenanbauer Zeit, ihre Ernte gut einzubringen. Die äußerlich robust wirkende Pflanze ist aber eigentlich eine Mimose mit Starallüren, die fast ganzjährig um Aufmerksamkeit buhlt. Diese Zuneigung schenkt Thomas Zieschang der Diva. „Es gibt ein altes Sprichwort: Wen der Hopfen einmal kratzt, lässt er nicht mehr los“, sagt der Landwirt schmunzelnd. Die Ernte ist für ihn und seine Kollegen das Ende eines langen Anbaujahres. Während manche Pflanzen bis zu 30 Jahren in der Erde bleiben, müssen die charakteristischen Drähte in den Hopfenfeldern jährlich neu gezogen werden – per Hand. Vier Mann binden jeden Draht mit einem Band in gut acht Metern Höhe an Stahlseilen an. Zu jeder Pflanze führen zwei Drähte, die in die Erde gestochen werden müssen. Danach wird der Hopfen „angeleitet“. Wieder per Hand wird die junge Pflanze im Uhrzeigersinn und mit dem Lauf der Sonne um den Draht gewickelt. 80 Prozent sind Handarbeit.

Wie lange Lianen im Urwald

An der Zapfenpflückmaschine baumeln die Hopfenranken wie lange Lianen im Urwald. Peter Eisold geht von der Vorhalle mit dem dröhnenden Ungetüm in die Trocknung. In einem gigantischen Ofen wird hier den Zapfen bei 60 bis 70 Grad der erste Teil ihre Feuchte entzogen. Über ein Förderband landen sie in einem dreietagigen Trockner, Baujahr 1976 in Tschechoslowakei. „Sechs Stunden ist der Hopfen hier drin“, sagt der Geschäftsführer und macht ein Fenster am Trockner auf. Es erinnert an ein Bullauge. Er holt einen Zapfen heraus. Seine Blätter sind jetzt schon gelbgrün. Mit Leichtigkeit zerbröseln die Blätter, aber der fleischige Stängel in der Mitte des Zapfens lässt sich noch biegen. „Da steckt noch zu viel Feuchtigkeit drin. Die Zapfen müssen von 80 auf elf Prozent heruntergetrocknet werden, sonst überstehen sie die Lagerung nicht“, sagt Peter Eisold und schließt das Kontrollfenster wieder.

Sein Landwirtschaftsunternehmen gehört zum Anbaugebiet Elbe-Saale. In diesem Verbund sind 30 Hopfenanbauer aus Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen organisiert. Insgesamt wächst bei ihnen auf gut 1500 Hektar die alte Kulturpflanze. Diese Region Mitteldeutschlands blickt schon auf eine tausendjährige Hopfenanbautradition zurück. Die Lieferung über 86 Scheffel Hopfen an das Kloster Gerbstädt im Mansfelder Land zurzeit Ludwig II. (um 806 - bis 876) gilt als einer der ältesten Nachweise über die Kultivierung des Hopfens. Der Elbe-Saale-Raum ist nach dem Hallertau nordöstlich von München das zweitgrößte und nördlichste Hopfenanbaugebiet Deutschlands. Außerdem wächst der Biergeschmacksbringer noch rund um Tettnang oberhalb des Bodensees und im Spalter Hügelland in Mittelfranken. Laut Deutschem Brauer-Bund (DBB) wird Hopfen in Deutschland auf rund 20000 Hektar angebaut.

Der betörende Duft des Lupulins mischt sich mit der Wärme. Auf den meisten Flächen in der Trocknung liegen die winzigen gelben, klebrigen Aromakügelchen. An einem Förderband steht Thomas Schwurack und stopft getrockneten Hopfen in eine handtellergroße Metallapparatur. „Das ist ein Feuchtemessgerät. Mithilfe von Sprühdüsen können wir die Feuchte nachstellen, wenn ich beim Abpacken merke, dass unser Produkt zu trocken oder zu feucht ist“, sagt der 28-Jährige und geht zur Presse. Wieder über ein Fließband fällt der Hopfen in den Behälter aus reißfestem Kunststoff und wird gleich in eine viereckige Form gestaucht. Schnell näht der gelernte Gartenbauer den Sack mit grobem Garn und drei Stichen zusammen.

Amtlich: „Deutscher Siegelhopfen“

Nun geht’s mit der Schubkarre auf die Waage. Hier befestigt Thomas Schwurack auch einen Aufkleber auf der Nahtstelle. Dieses Papier mit Zahlen und Buchstaben ist mehr als der Herkunftsnachweis. Dieses amtliche Zeichen zeichnet die Auschkowitzer Ernte als „Deutschen Siegelhopfen“ aus. Der Landwirt pikst mit dem Stab eines digitalen Thermometers noch einmal durch den Rechteckballen, um die Temperatur zu überprüfen. Dann kommt der Hopfen ins Depot. – 90 Tonnen hat die Taucherwald Agrar GmbH im vergangenen Jahr produziert. Einmal pro Woche kommt ein unabhängiger Prüfer und untersucht die Probe auf Farbe, Geruch, Feuchte und Krankheiten. Denn bis in den Dezember kann sich die Abholung des verpackten Hopfens hinziehen. Drei Verarbeitungswerke in Deutschland kümmern sich um seine weitere Veredlung. In welchem Bier der Oberlausitzer Hopfen landet, ist ein gut gehütetes Geheimnis.

Das Dröhnen der Zapfenpflückmaschine übertönt jedes Gespräch. Jacek Wallis gibt im gleichmäßigen Takt die grünen Hopfenranken an seinen Kollegen Marek Pinias weiter. „Wenn nichts kaputt geht, sind wir in zwei Wochen fertig mit der Ernte. Die Qualität passt, aber aufgrund des trockenen Sommers rechnen wir mit ein paar Ertragseinbußen“, sagt Peter Eisold und geht an sein klingelndes Handy. Ein Lastwagen mit Dünger muss abgeladen werden. Ein anderer Kollege kann den Unkrautvernichter nicht aufs Feld bringen, weil es zu windig ist. Hopfenmeister Thomas Zieschang aber fährt schon wieder mit seinem greifenden Traktor in den Hopfengarten hinein. Dieser Arbeitstag ist noch lange nicht zu Ende.