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Die Schwingen des Schloss-Pelikans

70 Jahre war die Figurengruppe über dem Torbogen des Residenzsitzes zerstört. Die Sanierung dauert noch Jahre.

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© Christian Juppe

Von Lars Kühl

Unter den wachsamen Augen vieler Löwen breitet der Pelikan die mächtigen Schwingen über seine Brut. Die Jungvögel trinken Blut – aus der Brust ihrer Mutter. Die Figurengruppe ist der Schlussstein vom Torbogen am Eingang zum Kleinen Hof des Residenzschlosses. Doch Jahrzehnte war der Pelikan flügellahm. Während des Zweiten Weltkrieges waren seine ausladenden Schwingen zerstört worden. Seit Kurzem beschützen sie wieder den Nachwuchs.

Der Pelikan als aufopfernder Fürsorger – diese plastische Geste gilt als wichtiges Symbol mit herausragender Bedeutung. Das Verhältnis des Kurfürsten zum sächsischen Volk sollte ausgedrückt werden, erklärt Jana Beck vom Sächsischen Immobilien- und Baumanagement (SIB).

Mit der Wiederherstellung ist eine weitere Etappe bei der aufwendigen und langwierigen Schlosssanierung geschafft. Bis 2008 war der Rohbau am Ostflügel abgeschlossen. Dabei wurden die Portaloberflächen am Löwentor mitrestauriert. Als dann der Kleine Schlosshof bis Anfang 2010 zum zentralen Besucherfoyer umgestaltet wurde, konservierten Bildhauer auch die Steine am Eingangsbereich an der Schloßstraße, erläutert Beck. „Sämtliche Teile und Figuren waren vorhanden.“ Außer eben den Pelikan-Flügeln. „Bei solchen Verlusten ist ein aufwendiger Rekonstruktionsprozess notwendig.“ Bis zur Hoferöffnung fehlte dafür schlichtweg die Zeit.

Seit vorigem Jahr wird mittlerweile der Ausbau des Museums fortgesetzt. „So ergab sich dann auch die Gelegenheit, die Ergänzung des Pelikans nachzuholen“, sagt Beck. Der ergibt, auf seinem Horst sitzend, für den Betrachter wieder ein schönes, stimmiges Bild. Lediglich seine helle Färbung fällt auf. Das sei gewollt, erklärt die SIB-Sprecherin. Schon früher habe sich die Figurengruppe vom Hintergrund abgesetzt. „Der originale Rumpf und die ergänzten Flügel sind aus hellem Bildhauerstein.“

Cottaer Sandstein, typisch für das Elbtal, zu finden im Westen des Elbsandsteingebirges, benannt nach einem Ortsteil von Dohma, das zwischen Pirna und Bad Gottleuba-Berggießhübel liegt, und wo die Mittelquader abgebaut werden. „Die Oberflächen patinieren nicht so deutlich wie die anderen Steine im Hintergrund“, sagt Beck. 12 000 Euro haben die neuen Flügel für den Pelikan gekostet, für die Entwicklung, sie nachzufertigen und anzubringen. Das zweigeschossige Torhaus mit dem Kleinen Schlosshof war bis 1595 nach Plänen von Paul Buchner gebaut worden. Der Pelikan ist ebenso ein bekanntes Christus-Symbol. Die Opferbereitschaft der Mutter gilt als Allorgie für den Tod von Jesus am Kreuz. Die Figurengruppe ist der Abschluss der Arbeiten am Eingangsbereich.

Rekonstruktion der Paraderäume

Der komplette Wiederaufbau des repräsentativen Herscherhauses aus der Renaissancezeit, die in den 1980er-Jahren begann, wird aber noch Jahre dauern. Im Museum des Georgenbaus, des Ostflügels und des Nordostflügels läuft derzeit die Erweiterung. Auch die Rekonstruktion des Kleinen Ballsaales ist laut Beck in vollem Gange. „Außerdem wird der südwestliche Treppenturm im Großen Schlosshof restauriert.“ Nächstes Jahr folgen dort Sgraffitoarbeiten. Bei dieser speziellen Technik tragen Stuckateure verschiedene Putzschichten auf die Wandflächen auf. Parallel werden Vorhaben am Langen Gang, die Rekonstruktion der Paraderäume sowie die Bemalung des Altans im Großen Schlosshof vorbereitet, erklärt Beck.

Die Sanierung des Residenzschlosses gleicht im Moment noch einer Sisyphosarbeit. Seit dem 16. Jahrhundert war es das Regierungsdomizil der sächsischen Kurfürsten und Könige. Die albertinische Linie der Wettiner beeinflusste von ihrem Stammsitz aus maßgebend die Entwicklung Dresdens zum strahlenden Kulturzentrum, das heute noch weltweit berühmt ist. Das Schloss gehört zu den ältesten Bauwerken der Stadt. Baugeschichtlich hat es eine herausragende Bedeutung, weil alle Stilrichtungen von der Romanik bis zum Historismus ihre Spuren hinterlassen haben. Zigtausende Touristen staunen nicht nur über das Bauwerk, sie besuchen jährlich auch das Historische und Neue -Grüne Gewölbe, das Kupferstich- und Münzkabinett sowie die Rüstkammer mit Türckischer Cammer. Erstmals wurde eine Burganlage auf dem heutigen Areal 1289 erwähnt. Es folgten über die Jahrhunderte zahlreiche Um- und Anbauten. Als britische Bomber Dresden am 13. Februar 1945 angriffen, brannte auch das Residenzschloss bis auf die Grundmauern nieder, und der berühmte Hausmannsturm büßte seine Spitze ein. Auf den Tag genau 40 Jahre später erklärte Erich Honecker, damals Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, dass die Außenhülle des Schlosses bis 1990 saniert sein wird. Nicht einmal der Westflügel war fertig, als die politische Wende 1989 Honecker und seine Pläne einholte. So richtig begann der Wiederaufbau erst nach Deutschlands Wiedervereinigung. Er dauert eben nur seine Zeit.