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Wenn Flüchtlinge scheitern

Gedemütigt, ängstlich, wütend: Junge afghanische Flüchtlinge erzählen, wieso sie aus Deutschland nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Und was nun aus ihrem Leben werden soll.

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© dpa

Christine-Felice Röhrs

Kabul. „Scheiß-Afghane“ haben sie ihn in Berlin genannt. Niemand half, als er in den ersten Wochen auf der Straße schlafen musste. Endlich im Flüchtlingsheim in Berlin, gab es nur Streit und Schlägereien - keine Ruhe, keinen Respekt, keine Arbeit. Für Khodai Nesar war das verheißene Deutschland von der ersten Minute an eine Enttäuschung. Schlimmer: eine Demütigung. In Afghanistan war Nesar Polizist gewesen. Ein Mann mit Stolz. Respektiert. Nach fünf Monaten Deutschland hatte er genug. Im März borgte er sich Geld von Freunden zusammen und kaufte ein Ticket nach Kabul.

Khodai Nesar, 24 Jahre alt, ist einer von 419 Afghanen, die bisher freiwillig aus Deutschland nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Gemessen an der Gesamtzahl der afghanischen Flüchtlinge - 20 162 haben allein von Januar bis März Asylanträge gestellt - ist das wenig. Aber in Zukunft sollen mehr zurückgehen. EU-weit, so hieß es jüngst, könnten bis zu 80 000 von ihnen bald abgeschoben werden.

Das Dokument hat Schockwellen ausgelöst. Menschenrechtler protestieren. Der afghanische Flüchtlingsminister sträubt sich. Die UN warnt vor Afghanistans beschränkter „Absorptionsfähigkeit“.

Was soll das Theater?, fragen manche. Gehen die Leute halt dahin zurück, wo sie eh gerade noch gelebt haben. Aber heimkehren ist nicht so einfach. Die Flüchtlinge haben oft alles verkauft, um die Flucht zu finanzieren. Haben Kredite aufgenommen, die zurückbezahlt werden müssen - oft ohne Aussicht auf Arbeit im Land, in dem mit der Sicherheit die Wirtschaft einbricht. Nach der Rückkehr werden viele von ihnen Vertriebene im eigenen Land, weil sie entweder nicht mehr dorthin zurückkehren können, wo sie herkamen oder nicht wollen.

Khodai Nesar ist einer der wenigen Glücklichen, die wieder anknüpfen konnten, wo sie aufgehört haben. Er hat seinen Job als Polizist wiederbekommen. Er ist nun sogar in einer Spezialeinheit. Zum Gespräch ist er in der Uniform erschienen - Tarnfleck, brandneue schwarze Stiefel, großes Abzeichen auf der Schulter. Die neue Verantwortung lindert ein wenig den in Deutschland verletzten Stolz.

Für die meisten anderen heimkehrenden Flüchtlinge geht die Reise nicht so glimpflich aus. Zu denen gehört Ahmed Saki, ebenfalls 24.

Saki ist einer von vielen, die nicht aus Afghanistan geflohen sind, sondern aus den riesigen afghanischen Flüchtlingsgemeinden des Irans und Pakistans. 20 Prozent aller in Griechenland ankommenden Afghanen machen sie aus. „Der Iran ist ein Gefängnis für Afghanen“, sagt er. „Wir dürfen nicht studieren, kein Haus kaufen - nicht mal eine Sim-Karte fürs Telefon dürfen wir beantragen.“ Dafür müsse man Iraner bestechen. Im Iran gebe es kein Leben. Nur Überleben.

14 Monate hat er für die Flucht gebraucht. Zehn Monate war er dann in Deutschland, in Gustavsburg bei Mainz. Dann brachten sie ihn in Handschellen zum Flughafen und schickten ihn zurück nach Rumänien, denn dort hatte Saki sich das erste Mal registriert. Nach der Dublin-Verordnung heißt das, dass er dort um Asyl bitten muss.

Aber in Bukarest - so beschreibt Saki es - waren sie nur darauf aus, ihn schnellstmöglich wieder loszuwerden. Die Unterkunft sei wie ein Gefängnis gewesen, das Essen schlecht, und die Beamten hätten immer nur wiederholt, dass er eine höchstens „einprozentige Chance“ hätte, bleiben zu dürfen. „Nach einem Monat war ich wie verrückt“, sagt Saki. Freiwillig - unfreiwillig - hat er letztlich ein Flugzeug der UN nach Afghanistan genommen. Nicht zurück in den Iran? „Nein, da ist ja selbst Afghanistan noch besser.“

Nun sitzt Saki in einem Land fest, das er nicht kennt, das seine Familie verlassen hatte, als er acht Jahre alt war. Er lebt bei Verwandten, auf ihre Kosten. In ein paar Monaten will er vielleicht studieren. Ob er einen Job finden wird im Krisenland - Saki ist nicht optimistisch. „Die Flucht war wie eine Bombe in meinem Leben“, sagt er. Was übrig blieb, ist das Gefühl, dass man ihn nirgendwo braucht, nirgendwo will, nicht in Deutschland, Rumänien, im Iran.

Aber seine Familie hat noch nicht aufgegeben. Kaum war Saki in Afghanistan, haben sich seine jüngeren Brüder auf den Weg gemacht. Vor kurzem sind sie in Deutschland angekommen, einer 16, einer 18 Jahre alt. „Zumindest für den Jüngeren haben wir Hoffnung“, sagt Saki. „Er ist klug. Vielleicht darf er bleiben. Wir sagen ihm: Akzeptiere alle Probleme. Für eine bessere Zukunft.“ (dpa)