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Die rollende Gefahr

Die Bautzener Autobahnpolizei hat dieses Jahr schon 84 Lkw aus dem Verkehr gezogen – nur die Spitze des Eisbergs.

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© Steffen Unger

Von Jana Ulbrich

Es ist der 13. Juli kurz vor 22 Uhr: Ein paar Kilometer hinter der Autobahnauffahrt Weißenberg liegt die komplette Reifenkarkasse eines Lkw mitten auf der Fahrbahn. Sieben Pkw fahren auf. Die Autobahn in Richtung Dresden muss dreieinhalb Stunden gesperrt werden. So lange dauern die Aufräumarbeiten. Auf mindestens 18 500 Euro schätzen Polizeibeamte den angerichteten Schaden.

Verrostet und schrottreif

Nur wenige Stunden später in der Gegenrichtung: Am Kilometer 51,6 zwischen den Anschlussstellen Bautzen-West und Bautzen-Ost liegt eine zerbrochene Bremsscheibe. Eine Polizeistreife kann sie rechtzeitig von der Straße holen, ehe wieder jemand auffährt. Der Lkw, der die Bremsscheibe verloren hat, ist weg. „Das ist es, was uns hier so viel Kopfzerbrechen bereitet“, sagt Rainer Zwikirsch von der Verkehrspolizeiinspektion (VPI) der Polizeidirektion Görlitz. „Wie viele solcher rollenden Zeitbomben müssen da auf der Autobahn unterwegs sein, die wir nicht erwischen?“, fragt er.

Tödliche Geschosse

Dabei erwischen die Kollegen der VPI immer mehr solcher Fahrzeuge: Fast 2 000 Schwerlaster haben sie allein von Januar bis Juni dieses Jahres auf der Autobahn angehalten und kontrolliert. Bei mehr als 1 200 Lkw hat es dabei aufgrund mehr oder weniger großer Mängel Beanstandungen gegeben. Das sind beinahe zwei Drittel. Unter den Beanstandeten waren auch 29 Gefahrguttransporter. Ein schrottreifer Transporter hatte 1,6 Millionen Kilometer auf dem Tacho.

Verstöße bei Lkw-Kontrollen im 1. Halbjahr

70 Mal defekte Bremsen

77 Mal weitere technische Mängel

80 Mal Überladungen

53 Mal ungesicherte Ladung

Bei Verkehrskontrollen wurden außerdem festgestellt:

77 Mal zu dichtes Auffahren

67 Mal missachtetes Überholverbot

20 Mal lange Elefantenrennen

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84 Sattelschlepper haben die Polizeibeamten nach der Kontrolle gleich aus dem Verkehr gezogen. 44 Lkw hatten derart gravierende technische Mängel, dass die Beamten erst einmal die Weiterfahrt untersagten. Und 40 Sattelschlepper haben die Kollegen gleich an Ort und Stelle stillgelegt. „Die waren tatsächlich nur noch Schrott“, sagt Zwikirsch. Bei ihm in der Bautzener Dienststelle der VPI laufen diese Zahlen und Fakten zusammen. Und auch Hunderte Fotos, die die Kollegen von den Kontrollen mitbringen. Was der erfahrene Polizeihauptkommissar auf den Bildern sieht, lässt ihn nachdenklich die Stirn runzeln: „Man mag sich gar nicht vorstellen, wie viel Schrott da tagtäglich auf der Autobahn unterwegs ist“, sagt er und zeigt Fotos von völlig zerschlissenen Reifen, von kaputten Bremsscheiben, durchgerosteten Trägern, gerissenen Aufhängungen, defekten Radlagern.

Dazu kommen die Bilder von völlig unzureichend gesicherten Ladungen: von Metallteilen, die einfach lose übereinandergeworfen auf dem Anhänger liegen; von unverzurrten Papierballen, die gefährlich auf eine Seite gerutscht sind; von ungesicherten Eisenstangen, die bei einer Gefahrenbremsung zum tödlichen Geschoss werden können – für den Fahrer und für Unbeteiligte. „Dabei bewegen wir uns mit den Kontrollen ja nur an der Spitze des Eisbergs“, weiß Rainer Zwikirsch. „Wir können ja nicht jeden Lkw anhalten.“ Die Fahrzeuge mit den gravierenden Beanstandungen kommen zum größten Teil aus den Ländern Osteuropas. Für sie ist die A 4 von Görlitz nach Dresden eine viel befahrene Transitstrecke. „Bei uns müssen die Fahrzeuge ja wenigstens aller zwei Jahre durch den Tüv“, erklärt Zwikirsch die Lage. „In Osteuropa gibt es so etwas wie den Tüv nicht.“

Reifenteile auf der Fahrbahn

In dem Moment kommt gerade wieder eine Meldung herein: Am Kilometer 39, zwischen den Anschlussstellen Uhyst und Salzenforst, liegen Reifenteile auf der Fahrbahn. Sie werden es auch gleich in den Radiomeldungen bringen. Auch das ist ein wachsendes Problem auf der Autobahn, sagt Rainer Zwikirsch: Die Zahl der Reifenplatzer ist in den letzten drei Jahren immer weiter gestiegen. 150 Fälle stehen allein in diesem Jahr schon in der Autobahn-Polizeistatistik – der Fall von gerade eben noch nicht mitgerechnet. „Ein Reifen in einem technisch einwandfreien Zustand platzt nicht“, sagt Rainer Zwikirsch. Mehr muss er da nicht erklären. Der Polizeihauptkommissar zieht sich die Warnweste über. Er will rausfahren zu den Kollegen, die sich gerade am Rastplatz Löbauer Wasser postiert haben. Der erste Schwerlaster, den sie an diesem Tag unter die Lupe nehmen, hat ein polnisches Kennzeichen. Der Fahrer hat in Süddeutschland Papierrollen geladen und ist mit der tonnenschweren Fracht nach Warschau unterwegs. Kollege Florian Glatzel schwingt sich auf die Ladefläche, geht an jedem Rad in die Hocke, schiebt sich auf dem Rollbrett unter den Anhänger. „Alles in Ordnung“, wird er dem Fahrer später sagen. Und zu Rainer Zwikirsch wird er den Daumen nach oben zeigen. Auch die Polizeibeamten sind erleichtert, wenn eine Kontrolle so endet.

Denn sie wissen nur zu gut, was rollende Zeitbomben auf der Autobahn anrichten können. Der Lkw-Brand im Tunnel Königshainer Berge, der zu Pfingsten 2013 ein Todesopfer gefordert und einen Millionenschaden verursacht hatte, war Folge eines defekten Radlagers. Und voriges Jahr waren allein 21 Unfälle die Folge geplatzter Lkw-Reifen.