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Die Retter der Stachelritter

In diesem Jahr sind die Igel bei uns besonders bedroht. Zum Glück finden sie in Radebeul ein liebevolles Asyl.

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© Arvid Müller

Von Dominique Bielmeier

Bodo wird seinem Ruf gerecht: Er beißt. Gerade noch schaute er mit dunklen Knopfaugen in das Gesicht von Cornelia Schicke, fast so, als würde er sie mittlerweile erkennen. Fünf Minuten später klemmt er mit der Schnauze am Oberarm der 52-Jährigen, die Mühe hat, ihn wieder loszubekommen. Genau, wie sie es kurz vorher prophezeit hat: Bodo beißt. Der junge Igel hat Glück, dass die Radebeulerin es nicht so eng sieht mit dem Sprichwort „Beiß’ nicht die Hand, die dich füttert“.

Bodo und Pamela heißen diese zwei der Igel.
Bodo und Pamela heißen diese zwei der Igel. © Arvid Müller

Zusammen mit der 37-jährigen Vjera Knezevic, die in Pirna lebt, aber regelmäßig mehrmals pro Woche extra mit dem Zug anreist, bildet Cornelia Schicke die Igelhilfe Radebeul, ein Teil der Arbeitsgruppe „Wildtiere in Not“ beim NABU Dresden. Erst seit diesem Jahr gibt es die Igelhilfe formal, geholfen wird den „Stachelrittern“, wie die Frauen die kleinen Tiere gerne nennen, aber schon länger, genauer gesagt seit fünf Jahren. Mit einem einzelnen kranken Igel, den Cornelia Schicke damals in ihrem Garten fand, fing es an. Den wollte sie eigentlich abgeben. Doch der Igelretter, der ihr damals vom Tierarzt vermittelt wurde, hatte keinen Platz mehr. So wurde die Radebeulerin selbst zur Igelmama auf Zeit – und ist bis heute dabei geblieben.

Rund 60 Tiere leben im Haus

Aus einem Igel sind allein in diesem Jahr schon 184 geworden, die durch die fachkundigen Hände von Cornelia Schicke und Vjera Knezevic gehen. Aktuell leben rund 60 Tiere im Haus und auf dem Grundstück der Radebeulerin. Meist bleiben die Tiere drei bis vier Wochen in der Obhut der Frauen, leben in Käfigen oder einem Freigehege. Sie bekommen nicht nur nötige Medizin, sondern werden auch regelmäßig gereinigt und gefüttert – mit hochwertigem Katzenfutter ohne Getreideanteil, betont Cornelia Schicke. Nicht etwa mit Obst und Nüssen, wie noch immer viele glauben. Ihrem ersten Igel hatte sie damals ausgerechnet einen Apfel serviert. Heute steht Cornelia Schicke oft in der Küche und brät Rührei oder Rinderhack für ihre Schützlinge.

Mit den Jahren der Igelbetreuung stieg die Expertise der Radebeulerin, die in diesem Jahr so gefragt ist, wie nie. Allein im September kamen 55 junge Igel bei ihr an. Schuld ist das verrückte Wetter: Wegen des extrem heißen Sommers verschob sich die Fruchtbarkeitsperiode der Igel, die deshalb erst spät Nachwuchs bekamen. Zu spät: Die Igelbabys sind nun oft noch zu klein, um alleine den Winter zu überstehen.

Hinzu kommen Verletzungen durch Gartengeräte wie Rasentrimmer oder Zusammenstöße mit Verkehrsmitteln. Der größte Feind des Igels sei die übertriebene Sauberkeit der Menschen, sind sich beide Frauen einig. In Pirna, wo Vjera Knezevic vergeblich nach anderen Igelfreunden suchte, müsse der Rasen immer die gleiche Höhe haben, sagt sie und zeigt mit Daumen und Zeigefinger einen kleinen Spalt. Laubhaufen zum Verstecken für die Igel? Fehlanzeige. Stattdessen wird im eigenen Garten mit Gift gesprüht. Mancher Igel verbrennt auch in einem Lagerfeuer, das nicht umgeschichtet wurde.

Bei solch schlimmen Verletzungen hilft auch die Pflege der Igelretterinnen nicht mehr. Dann müssen Tierärzte ran, die mit den beiden Frauen zusammenarbeiten. Trotzdem ist die Rettungsquote mit 50 Prozent eher ernüchternd.

Futtergeschenke vorbeigebracht

Ernüchternd sind auch die Kosten: Eine befreundete Tierschützerin habe einmal errechnet, dass jeder Igel, der gepflegt wird, rund 50 bis 60 Euro kostet. Geld, das von den ehrenamtlichen Helferinnen größtenteils selbst aufgebracht wird, auch wenn es immer mal Spenden gibt. Vor Kurzem habe eine Frau ihr einfach 50 Euro in die Hand gedrückt, die sie für die Igel verwenden sollte, erzählt Cornelia Schicke. Andere bringen Futtergeschenke vorbei. Inzwischen gibt es auch richtige Igelpaten.

Nicht ersetzen können Spender die Zeit, die Cornelia Schicke und Vjera Knezevic für die Igel aufwenden. Vier bis fünf Stunden seien das täglich, schätzt die Radebeulerin, die wie nebenbei noch 32 Stunden pro Woche als Erzieherin arbeitet.

Als Dank verlässt irgendwann jeder Schützling auf nimmer Wiedersehen das Radebeuler Asyl. Dazu führt Cornelia Schicke ein großes blaues Buch, in dem unter anderem vermerkt ist, wann welcher Igel von wem abgegeben und wo er gefunden wurde. Denn die Tiere sollen möglichst wieder an ihren Fundort zurückkehren; dank ihres guten Orientierungssinns finden sie sich schnell wieder zurecht.

Trotz der vielen Arbeit, der Unsummen, die für die Igelpflege anfallen – ans Aufhören denken die beiden Tierfreundinnen nicht. Im Gegenteil: Im kommenden Jahr möchten sie auf einem Nachbargrundstück in Radebeul, das zum Verkauf steht, sogar eine richtige Igelstation einrichten. Ein kleines Gebäude mit allen nötigen Anschlüssen, das sich eignen würde, steht dort bereits. Nur ein Geldgeber für ein zinsloses Darlehen von etwa 20 000 Euro muss noch gefunden werden. Dann hätte Igelmama Cornelia Schicke zumindest ihr Zuhause wieder ganz für sich.

www.igelhilfe-radebeul.de