Merken

Die Puhdys werden in Zittau altersgerecht gefeiert

Über 1.000 Fans feierten am Sonnabend im Westparkcenter die DDR-Kultband, die noch nicht an „Rockerrente“ denkt.

Teilen
Folgen
NEU!

Von Mario Heinke

Als die Berliner „Unterhaltungskünstler“ die Bühne zum Soundcheck betreten, habe ich das Gefühl, als stiegen die Protagonisten aus dem Geschichtsbuch. Die Puhdys waren in meiner Jugendzeit doch schon alte Männer! 1969 noch mit einem Auftrittsverbot für den Bezirk Karl-Marx-Stadt belegt, stehen Dieter Birr (Gesang, Gitarre), Dieter Hertrampf (Gesang, Gitarre), Peter Meyer (Keyboard, Saxofon) und die später dazugestoßenen Klaus Scharfschwerdt (Schlagzeug) und Peter Rasym (Bass) 43 Jahre später immer noch auf der Bühne. Alt wie ein Baum. Auf Lebenszeit, so scheint es. Peter Meyer ist 72 Jahre. Scharfschwerdt, der Benjamin in der Truppe, bringt es auch schon auf 58 Jahre.

Noch sind vier Stunden Zeit bis zum Konzert. Die mit gepolsterten Stühlen und Biertischen aufgerüstete Zittauer Sporthalle ist noch leer. Techniker drehen an den Reglern. Acht Mann haben vier Stunden lang die Technik aufgebaut, mehrere Tonnen Equipment aus dem Truck geschleppt. Die Puhdys lümmeln auf Barhockern, auf denen sie während des ganzen Konzerts altersgerecht thronen werden. Maschine und Quaster albern rum, probieren, unterbrechen, checken den Sound.

19 Uhr, schon seit einer Stunde füllt sich die Halle. Am Ende sind es rund 1.000 Leute. Die meisten Besucher haben die Fünfzig überschritten. Graue und weiße Haarkränze, Schnurrbärte und Bierbäuche bei den Herren sowie Dauerwellen mit und ohne Strähnchen bei den Damen dominieren das Bild eines ansonsten sehr gemischten Publikums. Auch der in den Achtzigern stehen gebliebene Endvierziger mit Vokuhila (Frisur, Vorne-kurz-hinten-lang) in ausgewaschenem Hemd, den Hosenbund bis fast unter die Achseln gezogen, ist zahlreich vertreten. An einigen Tischen sieht es aus wie bei einer Familienfeier, vom Opa bis zum Enkel sind alle gekommen. Sogar eine ältere Dame mit Rollator zieht ihre Runden.

Vereinzelt sind jedoch auch junge Leute anzutreffen. Stefan Scharmann ist mit seiner Freundin aus Görlitz gekommen. Der 23-Jährige spielt selbst Gitarre und ist begeisterter Fan, seit ihm seine Eltern vor elf Jahren eine Puhdys-CD geschenkt haben. Bereits zum vierten Mal besucht die Olbersdorferin Karina Herrmann ein Puhdys-Konzert, hat sich dafür extra eine dunkelblaue Jacke mit DDR-Lettern, Hammer, Zirkel und Ährenkranz angezogen. „Weil die Puhdys eine DDR-Band sind“, erklärt die 40-Jährige auf meine Nachfrage und ergänzt, dass eine politische Aussage damit nicht beabsichtigt sei. Auch das Zittauer Ehepaar Zwiener ist bereits seit 30 Jahren von der Musik begeistert. Besonders wegen der alten Titel fährt das Paar, beide um die 50, gezielt zu Livekonzerten der Puhdys.

21 Uhr, die letzten Synthesizerklänge von Opernsänger und DJ „Dr. Taste“, der als Vorbandersatz eingekauft wurde, verklingen. Deutliches Aufatmen. Endlich geht’s los! Routiniert greifen die Rock-Opas in die Saiten, ein sauberer Sound vom ersten Ton an zieht durch die Tennishalle. Die Titel sind für die Akustik-Tour umgeschneidert, E-Gitarren sind durch Akustikgitarren ersetzt. Die eingängige Musik ist mit Banjo, Akkordeon und Flöte angereichert, neu arrangiert. Das tut den Hits gut, die sind weniger laut, noch gefälliger anzuhören. Für diese Klangvariante bei der Akustik-Tour 2012 haben sich die lebenden Legenden Verstärkung geholt, Conrad Oleak (Keyboard) und den Sohn vom Drummer, Nick Scharfschwerdt (Percussion). Maschines Sohn, Andy Birr (Akustikgitarre), sonst auch dabei, fehlte im Westparkcenter, ist mit seiner eigenen Band „Bell Book & Candle“ auf Tour.

Die Altrocker müssen sich nicht neu erfinden, können aus dem vollen Repertoire aus 43 Jahren schöpfen. Sie spielen mit den Hits, variieren und ändern nach Belieben. Maschine erklärt dem Publikum, warum sie immer noch spielen. „Wir hatten keine Lust, uns im Alter noch umschulen zu lassen.“ Das kommt an im Publikum. „In 100 Jahren treffen wir uns wieder. Gleicher Ort, gleiche Zeit. Wer will, kann auch eine halbe Stunde eher kommen, dann reden wir über alte Zeiten!“, setzt Dieter Birr noch einen drauf.

Nach der Pause greifen sie noch mal tief in die Kiste, spielen vor allem die alten Ohrwürmer. Alle Besucher, die noch stehen können, sind jetzt aufgestanden. „Wenn ein Mensch lebt“, „Lebenszeit“ und „Alt wie ein Baum“ lassen die Emotionen hochkochen. Einige Frauen nehmen ihre Männer in den Arm, grölen und klatschen. Als dann „Geh zu ihr“ erklingt, wippen die Männer im Takt auf den Zehen, als würden sie gleich losziehen, um mal wieder einen „Drachen steigen“ zu lassen. Abkühlung verschafft Maschine den Zuhörern mit lockeren Sprüchen, stellt Quaster als Erfinder der Operette vor, nennt Meyer den Schwiegervater von Walter Ulbricht und lässt Drummer Scharfschwerdt die „TV-Show“ singen. Nach der ersten Zugabe mit „Hey, wir wollen die Eisbären sehen“ endet das Konzert besinnlich mit dem Friedenslied „Das Buch“.

Senior Peter Meyer ist so etwas wie der Pressesprecher. Wie oft die Puhdys schon in Zittau gespielt haben, weiß er nicht mehr genau. Nach der Wende waren es wohl vier Mal, sicher ist er nicht. Von der Stadt haben die Ostrock-Stars nicht viel gesehen, sind erst eine halbe Stunde vor dem Soundcheck im „Hotel Dreiländereck“ angekommen. Auf der Fahrt nach Zittau sind Meyer aber „die vielen schönen Häuser“ aufgefallen.

45 Konzerte stehen 2012 noch auf dem Plan. Warum die alten Herren sich den Stress noch antun, frage ich Meyer. Der verweist auf volle Konzertsäle, Spaß am Musizieren und drohende Langeweile. Außerdem hielten sich die Strapazen in Grenzen, so Meyer. „Wir lassen es in diesem Jahr ruhiger angehen“, sagt er. „In der Regel sind die Konzerte zwischen Freitag und Sonntag, so haben wir die ganze Woche zur Erholung.“ So sieht Altersteilzeit im Musikbusiness aus. Erholt wird sich am Müggelsee, in dessen Nähe alle Puhdys wohnen. Nach Ostern beginnt die Open-Air-Saison. „Bei den Open-Airs sind viel mehr junge Leute da“, wirbt Peter Meyer für das Konzert zu Pfingsten auf der Hutbergbühne in Kamenz.