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Die Problemlöserin

Als Sozialarbeiterin an der Berufsschule Weißwasser kann Kerstin Bohne nicht immer helfen. Aber sie versucht es.

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© André Schulze

Von Thomas Staudt

Ernst zu gucken, schafft sie nicht. Schon nach kurzer Zeit schleicht sich die Andeutung eines Lächelns in ihre Mundwinkel. Obwohl sich Kerstin Bohne hauptberuflich mit Problemen beschäftigt, lacht sie gerne. Die 43-Jährige mit den unbändigen Locken arbeitet seit fast zwei Jahren als Sozialarbeiterin am Beruflichen Schulzentrum in Weißwasser und reagiert auf Sätze wie „Kommen Sie schnell – die Mädchen prügeln sich!“ Problemlagen eskalieren an der Schule selten. Das ist auch ihrer Arbeit zu verdanken. Für Schulleiter Maik Gahle ist sie ein Glücksfall. Nach dem Wechsel ihrer Vorgängerin an eine andere Schule muss er zunächst lange nach Ersatz suchen. Die Interimszeit verläuft dramatisch.

Einige Schüler stören kontinuierlich den Unterricht. Wenn sie zur Räson gerufen werden, werden sie laut, statt sich zu benehmen. Manche werden beleidigend. Die Besuche von schimpfenden Lehrern in Maik Gahles Büro häufen sich. Dann kommt Kerstin Bohne an die Schule. Sie versucht, nicht erst dann einzugreifen, wenn es zu spät ist. Deeskalationspolitik könnte man das nennen, was sie betreibt. Zu Anfang des Schuljahres hospitiert sie in den Klassen, registriert Auffälligkeiten und überprüft ihre Beobachtungen nach den Herbstferien. „Dann sind die Schüler erst richtig angekommen“, sagt sie. Meist ist es fruchtbarer, „Problemkinder“ einfach nebenbei in ein Gespräch zu verwickeln. „Wenn ich die zu mir bestelle, setzen sie eine Maske auf und machen dicht“, erklärt Kerstin Bohne.

Prügelnde Mädchen sind die Ausnahme. Und doch ist das Bild typischer als vielfach angenommen. Mädchen, sagt Kerstin Bohne, agieren viel stärker nach außen. „Sie müssen signalisieren, dass sie mit einer andern nicht klarkommen“, erklärt sie. Immer häufiger werden dabei die sozialen Netzwerke zu Schlachtfeldern. „Das beginnt auf Facebook oder WhatsApp und geht in der Schule weiter“, sagt Maik Gahle. Den Begriff „Mobbing“ nimmt er vorsichtshalber nicht in den Mund. Jungs dagegen genüge es, den starken Max zu markieren.

Eine vergleichende Studie zur Schulsozialarbeit in Sachsen und Hessen kommt bereits 2006 zu dem Schluss, dass Mädchen gewaltbereiter sind als Jungen und eher außerhalb der Klasse austeilen. Jungs seien eigentlich viel verletzlicher als Mädchen. „Erst gestern war einer aus dem letzten Schuljahr da, um sich auszuheulen“, erzählt Kerstin Bohne.

Die studierte Lehrerin weiß um die Nöte Heranwachsender nicht nur aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung. Sie hat selbst drei Kinder. Auffälliges oder aggressives Schülerverhalten kann unterschiedliche Ursachen haben, sagt sie. Probleme im Elternhaus, Reibereien untereinander oder Lustlosigkeit, die wiederum unterschiedliche Gründe haben kann. Körperliche Auseinandersetzungen sind am Beruflichen Schulzentrum in Weißwasser selten, aufsässige Störer die Regel. Das häufigste Problem sind jedoch Schulschwänzer. Fehlzeiten sind für Kerstin Bohne Alarmsignale. Hat sie erst ein Bild von der Situation der Schülerin oder des Schülers, beginnt sie ein Netzwerk aufzubauen. Schritt für Schritt checkt sie ab, ob schon Hilfsangebote laufen oder wer unterstützen kann. Ist das Jugendamt vielleicht schon tätig? Wissen die Eltern Bescheid? Muss ein Arzt hinzugezogen werden? Unter den Schülern sind immer wieder Ritzer oder Borderliner. Die einen tun sich selbst weh, die andern zeichnen sich durch eine Persönlichkeitsstörung aus und können sich und andere gefährden. Die Zusammenarbeit mit der Mobilen Jugendarbeit und den anderen Schulen ist eng.

Problemlagen sind in Weißwasser nach Einschätzung von Maik Gahle nicht ausgeprägt und betreffen zehn bis zwanzig der insgesamt 816 Schüler, also gerade einmal zwei Prozent. Am Beruflichen Schulzentrum in Zittau wird die Situation ähnlich eingeschätzt. In Löbau liegt der Prozentsatz höher, sagt Leiterin Kerstin Bronlik. Er steige sogar stetig an, erklärt sie. An allen vier Beruflichen Schulzentren im Landkreis Görlitz sind Sozialarbeiter im Einsatz. Noch 2008 sind es an den Berufsschulen in Sachsen ganze zwei. Seitdem hat die Schulsozialarbeit als die intensivste Form der Kooperation von Jugendhilfe und Schule erheblich an Bedeutung gewonnen.

Kerstin Bohne kommt nicht immer an die Schüler heran. Wenn ein Schüler jegliche Hilfe verweigert, wie neulich, sind ihr die Hände gebunden. Der Schüler erscheint einfach nicht mehr zum Unterricht – und fliegt letztendlich von der Schule. Seine Ausbildung ist damit beendet. Übersteigen die Fehlzeiten die Spanne von insgesamt sechs Wochen, ist Schluss. Ohne Regeln geht es nicht. Auch das müssen die Schüler lernen.