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Die Ober-Linke

Gegner von Sahra Wagenknecht halten die Spitzenkandidatin der Linken für eine Art inhaltliches U-Boot der AfD.

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© imago/Michael Handelmann

Von Peter Heimann, Berlin

Sahra Wagenknecht ist populär wie noch nie – einerseits. Sie ist die einzige in ihrer Partei, die Leute anzieht fast wie einst Gregor Gysi. Wo die Fraktionschefin der Linken öffentlich auftritt, drängen – in Ost wie West und freiwillig – Zuhörer selbst in größere Säle. Mitunter zahlen sie gar Eintritt. Dagegen sind viele ihrer Genossinnen und Genossen eher Rausschmeißer. So oft wie kein anderer Politiker sitzt sie in den TV-Talkshows und hat den omnipräsenten Wolfgang Bosbach als Rekordhalter längst in den Schatten gestellt. Schreckliche Wagenknecht-Auftritte von früher und noch schlimmere Aussagen von ganz früher sind längst relativiert und in der breiten Öffentlichkeit anscheinend auch vergessen. Nur so viel: Links neben ihr war nur noch die Wand – wenn da überhaupt was war. Unterm Strich: Frau Wagenknecht ist für ihre Partei unverzichtbar, will sie Erfolg haben.

Andererseits vergreift sich die Ober-Linke in der Flüchtlingspolitik ganz absichtsvoll und regelmäßig im Ton. Immer wieder, meinen inzwischen auch etliche ihr sonst sehr wohlgesonnene Genossen. Und andere erst recht. Die neue Berliner Landesvorsitzende Katina Schubert sagte etwa dem Tagesspiegel: „Und täglich grüßt das Murmeltier. Sie wird sich nicht ändern. Sie wird immer wieder die gleiche Scheiße erzählen.“ Schon im Sommer bekam Wagenknecht, wenn auch nicht ganz zu Unrecht, Beifall von der eigentlich falschen politischen Seite. Der Anlass: eine Äußerung von Wagenknecht zur Flüchtlingspolitik nach dem Anschlag in Ansbach. Damals meinte die Linke, die Ereignisse der letzten Tage zeigten, „dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ,Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte“.

„Ganz richtig! Schuld hat maßgeblich die verfehlte deutsche Flüchtlingspolitik. Frau Wagenknecht, kommen Sie zur AfD“, twitterte daraufhin ausgerechnet André Poggenburg, Landeschef und Rechtsaußen der AfD in Sachsen-Anhalt.

Wagenknecht redete nicht zum ersten Mal völlig anders, als es das linke Parteiprogramm vorgibt. Dort steht etwa der sehr bemerkenswerte Satz: „Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen.“ Für viele ihrer Genossen passte die Aussage in ihr Wagenknecht-Bild.

Schon mehrfach hatte die Oppositionsführerin viele Genossen mit solchem Gerede gegen sich aufgebracht. „Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt“, hatte sie nach den Silvesterübergriffen in Köln erklärt – wiederholte es nach heftiger innerparteilicher Kritik aber nicht mehr. Hinterher war von „Missverständnissen“ und „Fehlinterpretationen“ die Rede.

Gregor Gysi regte sich darüber in der SZ auf: „Wenn bedeutende Persönlichkeiten bestimmte Positionen vertreten, hat das eben auch andere Folgen, als wenn das andere machen. Wenn man den Weg der Humanität, des Grundrechts auf Asyl geht, dann kann es schon sein, dass man bestimmte Wähler verliert. Aber dafür gewinnt man auch andere. Wenn man den anderen Weg geht, kann man vielleicht auch WählerInnen gewinnen. Das wäre dann zwar nicht mein Weg, aber wenn man beides anbietet, dann verliert man auf beiden Seiten.“

Wagenknecht bleibt auf ihrem anderen Weg. Gerade hat sie in einem Gespräch mit dem Magazin Stern Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Mitverantwortung für den Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz zugesprochen: „Neben der unkontrollierten Grenzöffnung ist da die kaputtgesparte Polizei, die weder personell noch technisch so ausgestattet ist, wie es der Gefahrenlage angemessen ist.“

Marcus Pretzell, AfD-Landeschef in NRW und Ehemann von Frauke Petry, postete freudig: „Eine kluge Frau.“ In der Linkspartei war die Freude bescheidener. Eigentlich verteidigten nur noch Mitglieder des allerengsten innerparteilichen Fan-Clubs ihr Idol Wagenknecht. Selbst die Führung der Linkspartei rügte ziemlich deutlich die eigene Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl im Herbst. Parteichef Bernd Riexinger: „Wir haben eine klare Programmatik – wir kritisieren Frau Merkel nicht dafür, dass sie die Grenzen nicht geschlossen hat oder gar Auffanglager oder ähnliche Dinge eingeführt hat.“ Vielmehr kritisiere die Partei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dafür, zu wenig für die Integration der Flüchtlinge zu tun. Dass die Kanzlerin die Grenzen nicht geschlossen habe, sei nicht die Ursache für den Terrorismus in Deutschland, sagte Riexinger. „Da hat die Linke eine klare inhaltliche Position, an die sich auch Frau Wagenknecht halten muss.“

Nun ja. Frau Wagenknecht will offenbar eher AfD-Protestwähler für ihre Partei gewinnen. Die AfD, sagte sie im Radio, habe kein soziales Programm. „Und deswegen hoffe ich, dass wir auch viele von denen erreichen, die zurzeit aus Frust, aus Verärgerung über die bisherige Politik darüber nachdenken, AfD zu wählen, aber nicht, weil sie deren Parolen unbedingt gut finden, sondern wirklich nur, weil sie sagen: ,Ich will deutlich machen, dass sich was ändern muss.‘“ Gestern ging der Berliner Vizelandeschef Tobias Schulze darauf ein. Und fragt, was aus der Kritik an Merkels Politik eigentlich folge und wie unsere Parte an deren Stelle gehandelt hätte. „Hätte die Linke die Grenzen schließen, Schengen beenden und Grenzkontrollen einführen sollen?“