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Die neue Trauer

Billigbeerdigung, Gedenken im Netz, QR-Codes auf Grabsteinen: Ein Kamenzer Steinmetz hinterfragt den Trend kritisch.

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© René Plaul

Von Ina Förster

Jörg Demski ist Steinmetz. Seit seiner Jugend hat er dem Vater, der auch Steinmetz in Kamenz war, bei der Arbeit geholfen. Grabsteine, Urnen, Gravuren, Verzierungen, in Stein gehauene Kunstwerke des Todes – die Sache mit der Trauer ist ihm geläufig. „Ich lebe damit, seitdem ich bewusst denken kann“, sagt er. Nicht immer sei es leicht, wenn die Angehörigen ihm nach dem Tod ihrer Lieben zur Auftragserteilung konsultieren. Er hört sich geduldig ihre Geschichten an. Geschichten vom Leben. Aber auch vor allem vom Sterben. Neuerdings sitzen hier immer öfter Ehepaare oder alleinstehende Omas und Opas, die ihr Grab bereits vor ihrem Ableben gekauft haben. „Und sie möchten sogar schon zu ihren Lebzeiten den Grabstein aufgestellt bekommen“, so Jörg Demski. Darauf steht bereits alles – nur das Sterbedatum wird ausgespart …

Das ist relativ neu. Nimmt aber immer mehr Konturen an. „Die Leute wollen vor dem Tod möglichst alles allein regeln. Einerseits, um ihre Wünsche auch wirklich erfüllt zu bekommen. Einige ahnen wahrscheinlich schon, dass ihre Sterbeversicherung oder das Ersparte später für andere Dinge ausgegeben werden. Andererseits, um niemanden zur Last zu fallen, wie viele sagen. Da frage ich mich aber schon – was ist mit unserer Gesellschaft los?“ Jörg Demski bringt es auf den Punkt: „Die Trauerkultur in Deutschland entwickelt sich gerade dramatisch ins Nichts!“ Er möchte weniger der Politik daran die Schuld geben, als der Gesellschaft, den Menschen selber. „Die meisten ignorieren den Tod, sehen die Verstorbenen als Last, die man kaum tragen kann, geschweige denn will“, sagt er. Es wird konsumiert bis zum Ende. Aber sich mit dem ungeliebten Thema auseinandersetzen – das passiert leider weniger.

Vorurteile abbauen

Demski, der logischerweise viel auf dem Friedhof zu tun hat, sieht dort kaum junge Leute. „Es gibt doch das wunderbare Fach Ethik. Warum schnappt man sich nicht mal eine Klasse und besucht einfach einen Friedhof. Um Vorurteile abzubauen, zu zeigen, wie Trauer heute aussehen kann“, meint er. Dass diese sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat, ist deutlich sichtbar. In Steinmetzkreisen weiß man das längst. Kaum einer kann von Grabsteinen und -stelen allein leben. Fast alle bieten andere Arbeiten an. Daran macht der 49-Jährige die Sache jedoch nicht fest. „Ich finde es sehr bedenklich, dass viele ihre Angehörigen nicht mehr liebevoll und voll Ehrfurcht unter die Erde bringen“, sagt er. Freilich sei eine Bestattung - welcher Art auch immer - nicht billig. „Doch was sollte uns der Mensch wert sein“, fragt er.

Zu DDR-Zeiten gab es gut 90 Prozent Erd- und nur zehn Prozent Urnenbestattungen. Heute ist es umgekehrt. Klein, preiswert, billig in der Pflege – das ist es, was gewünscht wird. Wenn möglich noch anonym, damit ja keiner der Nachfahren eine Arbeit mit dem Verstorbenen hat. Auch die Nachfrage nach Urnengemeinschaftsanlagen mit stereotypen Steinen nimmt zu. Seit Kurzem ist der Friedwald außerdem sehr stark in die Diskussion gekommen. Wobei man sich hier laut Demski genau informieren sollte. „Einen solchen Friedwald wird es niemals im Stadtzentrum geben, wenn überhaupt in der Stadt selbst. Nicht jeder Hain ist geeignet, er wird umzäunt wegen wilder Tiere. Blumen dürfen dort nicht niedergelegt werden. Die romantische Vorstellung, so einfach in der Natur zu ruhen, geht nicht ganz auf“, gibt er zu bedenken.

Friedhof als Begegnungsstätte

Immer mehr Menschen interessieren sich jedoch für alternative Bestattungsformen. Das sei nicht verwerflich. „Sicherlich soll jeder die Art seiner Beisetzung frei wählen können. Darum geht es mir nicht. Der Friedhof ist und war aber schon immer auch Begegnungsstätte. Ein Ort, wo man den Tod verarbeiten kann. Jeder auf seine Weise“, so Demski. „Wir Steinmetze versuchen, sie parkähnlich mitzugestalten. Oft gelingt es uns!“

Auf Grabmalen findet man heute auch weniger klassische Dinge. Das darf eine kleine Stones-Zunge sein, wenn der Verstorbene Fan der Musiker war. Oder je nach Metier oder den Hobbys eine Weltkugel, ein Fußball, ein Amboss, eine Angel, ein Motorrad. „Das hatten wir alles schon in Kamenz. Gerade arbeiten wir an einem Stein für einen 15-Jährigen. Der war Skater und Sprayer. Was will man hier mit einer Trauerweide – hier haben wir uns mit den Eltern auf eine Sprühdose geeinigt“, so Jörg Demski. Auch Glitzersteine funkeln aktuell wie die Sterne auf vielen Grabmalen.

Alles, was in der Symbolik nicht anstößig ist, darf verwendet werden. Dazu kommen helle Farben, Natursteine, moderne Formen. Dennoch lieben gerade ältere Leute den klassischen abgerundeten Stein. „Sie wollen mit der Hand darüber streicheln können. Das erlebe ich sehr oft“, so Demski. Auch vom Trend sogenannter QR-Codes (Click-Response-Code) hat er gehört. Ein Steinmetzkollege aus Köln hat diesen 2012 erfunden. Selbiger kann in einen Grabstein eingraviert werden und hinterlegt Informationen zum Verstorbenen im Internet. Man kann das kleine schwarz-weiß gemusterte Kästchen also mit seinem Smartphone oder Tablet einfach auf dem Friedhof scannen und schon öffnet sich im Internet eine von den Angehörigen gestaltete Gedenkseite mit Bildern, Videos, Musik, persönlichen Gedanken des Verstorbenen und Kondolenzbüchern. „Ich glaube nicht, dass sich so etwas in der ländlichen Region durchsetzt“, so der Kamenzer Steinmetz.

„Außerdem gibt es noch die Friedhofsordnungen. Auf dem Just-Friedhof sind weder Goldschrift noch Portraits Verstorbener gestattet. Darüber könnte man diskutieren. Wir haben auch noch keine Anfrage zu QR-Codes bekommen.“ Was er von der Online-Trauer hält, sagt er frei heraus: Nicht viel! Für ihn sind virtuelle Kerzen und Beileidsbekunden nicht verwerflich, aber eben das, was sie wirklich sind: Ohne Tiefgang. Flüchtig wie der Augenblick.