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Die Neue mit dem langen Atem

Die Oberschule hat eine neue Leiterin. Mit 47 Jahren ist Silke Gerlach eine der Jüngsten im Lehrerkollegium.

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© Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Lommatzsch. Am Ende ging alles ganz schnell: Eine Woche vor den Sommerferien erfuhr Silke Gerlach, dass sie die Auserwählte ist. Fast ein Jahr hat das Bewerbungsverfahren gedauert, dann stand fest: Die 47-Jährige wird die neue Leiterin der Oberschule Lommatzscher Pflege. Über ein Jahr lang wurde die Schule kommissarisch geführt, nachdem der vorherige Chef Otto Kremer krankheitsbedingt ausgefallen war. Inzwischen ist er im Ruhestand, der Weg war frei für einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin. Für Silke Gerlach, einer von drei Bewerbern, ist das kein Neuland. Die gebürtige Bautzenerin war schon sechs Jahre Schulleiterin einer Privatschule in Dresden.

Mal die Perspektive wechseln

Begonnen hatte ihrer Lehrerlaufbahn nach dem Studium an der Pädagogischen Hochschule in Güstrow an einer Mittelschule in Dresden. Doch nach zehn Jahren wollte sie die Perspektive wechseln. „Ich fühlte mich wie in einer Endlosschleife, suchte neue Felder, wollte mich beruflich weiterentwickeln“, sagt sie. Und geht in ein Projekt für Schulentwicklung, reist durch ganz Sachsen als Prozessmoderatorin, unterstützt Schulen bei der Entwicklung von Schulprogrammen, moderiert pädagogische Tage. „In dieser Zeit habe ich viel über Schulmanagement gelernt, vor allem darüber, was Schule außerhalb des Unterrichts ausmacht“, sagt sie. Einige Zeit arbeitet sie auch im Kultusministerium. „Dadurch bekam ich auf viele Dinge einen anderen Blick, weiß zum Beispiel, dass nicht jedes Gesetz, das gemacht wird, dazu da ist, um die Lehrer zu ärgern“, sagt sie und lacht. Doch der Wunsch, Schulleiterin zu werden, ist größer. 2009 geht sie an die Privatschule Institut für Bildung und Beratung (IBB) in Dresden, in der Mädchen und Jungen in der Mittelschule und im Gymnasium unterrichtet werden. Sechs Jahre später kehrt sie zurück in den öffentlichen Dienst, kommt durch Zufall zurück an ihre frühere Schule nach Dresden, die jetzt Gemeinschaftsschule Pieschen heißt.

Doch der Wunsch, Schulleiterin zu sein, bleibt. Sie schaut sich Ausschreibungen an, es gibt offene Schulleiterstellen in Meißen, Riesa, Lommatzsch. Silke Gerlach besucht den „Tag der offenen Tür“ in Lommatzsch, ist von der Schule begeistert. „Die Schule ist in einem Top-Zustand, alles, was ich mir privat und beruflich vorstellte, war optimal. Die Schule ist überschaubar, gut zu erreichen, ich kann Arbeitsweg und Arbeitszeit gut verknüpfen“, sagt die Lehrerin für Biologie und Chemie, die seit einigen Jahren mit ihrem Mann – er ist ebenfalls Pädagoge und stellvertretender Schulleiter in Radeburg – in Scharfenberg wohnt.

Den Empfang in Lommatzsch schildert sie als anfangs distanziert. „Das hat sich aber sehr schnell gelegt. Nach kurzer Zeit waren alle sehr kooperativ.“

Natürlich hat sie Ideen im Kopf, doch mit der Umsetzung lässt sie sich Zeit. „Ich kann nicht acht Tage vor Schuljahresbeginn kommen und alles umschmeißen“, sagt sie. Das will und muss sie auch nicht. Die Lernnester, die es seit Jahren gibt, seien eine gute Gelegenheit, modernen Unterricht zu entwickeln, sagt sie und lobt die Berufsorientierung in der Schule, das sportliche Profil, das Keramikkabinett, die offenen Ganztagsangebote.

„Es war schon immer mein Wunsch, Lehrerin zu werden. Bereits mit 13, 14 Jahren habe ich anderen Schülern Nachhilfe gegeben. Ich habe meine Berufswahl nie bereut“, sagt sie, die von ihrer Tante und ihrem Onkel inspiriert wurde. Beide waren Lehrer, und beide waren Bezugspersonen. Mit ihren 47 Jahren ist die Chefin eine der Jüngsten im Lommatzscher Kollegium. Die meisten haben die 50 schon deutlich überschritten. „Das ist das Ergebnis der sächsischen Schulpolitik der 90er Jahre“, sagt sie. Über Jahre seien keine neuen Lehrer eingestellt worden, entsprechend wenig nachgefragt waren auch Studienplätze. Vor allem in der Altersgruppe zwischen Mitte 30 und Mitte 40 fehle es jetzt an Pädagogen, nicht nur in Lommatzsch.

Ein Problem sei generell, dass in Sachsen Lehrer nicht wie in anderen Bundesländern verbeamtet werden. „Wer kann es jungen Menschen denn verübeln, wenn sie in ein anderes Bundesland gehen, wo sie Beamtenstatus erhalten? Wir müssen den Lehrerberuf in Sachsen wieder attraktiver machen“, fordert sie.

Ein Drama für junge Leute

Attraktiver müssten auch die Oberschulen werden. Zwar sei der ungebremste Drang in die Gymnasien inzwischen etwas gestoppt, doch immer noch groß. „Wir hatten in Dresden ganze Klassen, die aus dem Gymnasium zurückkehrten, weil die Kinder es nicht schafften. Für die jungen Leute war das ein Drama, schon in der Jugend gescheitert zu sein. Sie waren völlig demotiviert“, macht sie die Folgen überforderter Kinder deutlich.

Silke Gerlach ist Lehrerin mit Leib und Seele. „Ich hatte das Glück, immer viele Schüler um mich zu haben, die meinen Alltag bunt gestalten. Und ich kann mich über Schülerleistungen extrem freuen“, sagt sie.

Wegen des Drangs an Gymnasien war auch die Lommatzscher Schule vor Jahren gefährdet, drohte gar die Schließung. Diese Zeiten sind vorbei, der Standort gilt als gesichert. 270 Mädchen und Jungen lernen dort, alle Klassenstufen sind zweizügig. „Wir müssen auch weiterhin die Eltern ermutigen, dass sie keinen Fehler machen, wenn sie ihre Kinder an eine Mittelschule schicken“, sagt die neue Schulleiterin. Vor allem in Lommatzsch habe man im Gegensatz zu Schulen in Großstädten keine Raumprobleme. „Auch das macht Schule aus“, sagt sie und lobt die Vorteile einer Schule im ländlichen Raum. Man kennt sich, es gibt kurze Wege. Und manches, was in einer Großstadt undenkbar ist. So halten Schüler der 6. Klasse bei ihr in Biologie Vorträge über Tiere. „Eines Tages stand ein Pferd auf dem Schulhof. Das hatte eine Schülerin für ihren Vortrag organisiert. So etwas gibt es nur auf dem Land“, sagte Silke Gerlach.

Viel Wert legt man in Lommatzsch auf Drogenprävention. „Wir warten nicht erst, bis etwas passiert“, sagt Silke Gerlach. Auch legale Drogen wie Zigaretten sind auf dem gesamten Schulgelände tabu. Das gilt übrigens auch für alle Lehrer.

Für die sportliche, gertenschlanke Frau ist Rauchen ohnehin kein Thema. Silke Gerlach ist begeisterte Läuferin. Bis zu viermal die Woche geht sie zum Joggen, nimmt an Wettkämpfen teil. Sie hat einen langen Atem. Den braucht sie auch als Schulleiterin. Denn sie hat sich länger eingerichtet für Lommatzsch.