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Die Monsterjagd macht süchtig

Auch Meißen ist im Pokémon-Fieber. Was die App reizvoll und sogar zum Wirtschaftsfaktor macht, weiß ein Spieler der ersten Stunde.

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© Claudia Hübschmann

Von Marcus Herrmann

Meißen. Warten ist Jannis Seilers Stärke nicht. Noch bevor das als App verfügbare Spiel „Pokémon-Go“ in Deutschland verfügbar war, hatte der 16-jährige Berufsschüler aus Meißen die kultigen Monster auf seinem Handy. „Das funktioniert über ein Android-Package. Das ist eine Installations-Datei, mit der ich mir das Spiel schon vor offizieller Verfügbarkeit auf Deutsch auf mein Smartphone ziehen konnte“, sagt Seiler. Inzwischen hat er aber eine neue Version runtergeladen – und nutzt seine Ferien zum ausgiebigen Datteln.

Brrrt...und prompt vibriert sein Handy hörbar, als ihn die SZ an einem Eiscafé an der Elbstraße trifft. Ein Blick auf das Display verrät: Ein Taubsi – ein taubenartiges kleines Monster hat sich direkt neben dem Tisch auf einem Stuhl niedergelassen. Die durch die App und die Handy-Kamera erzeugte Illusion ist perfekt. Mit einem Wisch über den Bildschirm lässt Jannis einen Pokéball auf das Taubsi fliegen und fängt es.

„Das ist mein 16. Pokémon. Ich muss versuchen so viele wie möglich der momentan verfügbaren über 100 zu sammeln. Und ich muss sie alle besser machen, auf höhere Levels bringen“, nennt Seiler die Ziele des Spiels. Dazu versucht er, auch Pokémon gleicher Art zu fangen. Eine Art doppelt zu haben sei kein Problem. „In Meißen kann ich im Prinzip alle Pokémon fangen. Für jeden erfolgreichen Catch verbessern sich auch deren Wettkampfpunkte. Nur so kann ich in Kämpfen bestehen“, sagt Seiler, der in den Ferien jede freie Minute für das Spiel nutzt – so wie fast alle seiner gleichaltrigen Freunde.

„Viele fahren mit dem Fahrrad durch die Stadt, treffen sich an den Elbwiesen oder in Parks.“ Das Rad lässt Jannis inzwischen aber lieber stehen, nachdem er auf einer Tour Ärger mit Ordnungshütern bekam. Doch auch zu Fuß mache das Spiel viel Spaß. Dass man viel unterwegs ist, das Hobby mit Freunden teilen kann, macht für ihn den Reiz aus. Und es sei einfach cool, sich als Trainer der kleinen Monster fühlen zu können und zumindest am Anfang relativ schnell voranzukommen, berichtet Jannis.

Wie zum Beweis verbessert er auf dem Weg von der Elbstraße zum Marktplatz sein Level von 5 auf 6. An der Frauenkirche fängt er ein Tauboga – die Weiterentwicklung des Taubsi, am Heinrichsplatz geht ihm das singende Pokémon „Pummeluff“ ins Netz. Da ist es nicht so schlimm, wenn sich mal eines wieder aus dem Pokéball befreit – so wie am Beginn der Burgstraße, als das Geist-Pokemon Nebulak wieder aus dem Ball schlüpft und verschwindet.

Während der Tour durch die Innenstadt werden auch einige Probleme der App deutlich. Jannis Seiler hat die gesamte Zeit sein GPS-Signal aktiviert, um zu sehen, wo sogenannte Poké-Stops oder Arenen sind. Häufig erlischt aber das GPS-Signal. Dann muss Jannis das Spiel neu laden und einige Minuten warten, bis es weiter gehen kann. „Außerdem frisst das Spiel sehr viel Energie. Mit einem vollgeladenen Handy kommt man kaum den ganzen Tag hin“, so Seiler. Fortgeschrittene Spieler hätten deshalb meist ein oder zwei externe Ladegeräte dabei, um das Spiel nicht wegen eines leeren Akkus unterbrechen zu müssen.

App noch nicht zu Ende entwickelt

Und wie viele „Player“ gibt es so in Meißen? „Viele. Ich kenne mindestens 25“, sagt Seiler, während er vom Markt in die Rosengasse einbiegt. Wieder vibriert sein Handy. Gleich im ersten Versuch kann sich der Kleinvogel „Habitak“ nicht mehr aus dem Pokéball befreien. In wenigen Minuten hat Seiler vier neue Monster gefangen.

Und viele tun es ihm gleich. Vor allem in den Abend- und Nachtstunden versammeln sich Jugendliche an für Spieler wichtigen Punkten – den Poké-Stops, wo es wichtige Utensilien oder seltene Monster gibt oder den Kampf-Arenen. „Am Museum sehe ich neuerdings immer etwa 15 junge Leute, die sich mitten in der Nacht hier zum Spielen versammeln“, sagt eine Passantin in der Innenstadt. Manche von ihnen seien aus Dörfern eine Stunde und länger gelaufen, um in Meißen Pokémon zu fangen. Eine andere Meißnerin berichtet sogar von 50 Leuten, die sich gerne nachts am Rossmarkt oder dem Käthe-Kollwitz-Park treffen und hier auf die Jagd gehen.

Warum das so ist, kann Jannis Seiler erklären. „Nachts gibt es andere Pokémon als am Tag. Auf der Albrechtsburg andere als an der Elbe. Wer nur tagsüber spielt oder nur in der Innenstadt, wird nie alle Monster zusammen bekommen“, sagt er. Dass viele an einem Ort spielen, habe den Vorteil, dass sich dadurch die Chancen auf mehr Pokémon verbesserten. Während Jannis Seiler Richtung Altstadtbrücke läuft und am nächsten Poké-Stop – dem Kändlerbrunnen – das Käferpokémon Bluzuk auf Level 4 fängt, macht er sich so seine Gedanken, ob er das Spiel beiseitelegt, sobald die Schule wieder los geht.

„Natürlich hat es ein gewisses Suchtpotenzial. Aber ich denke, man kann es auch mal ein paar Tage seinlassen, ohne Entzugserscheinungen zu bekommen.“ Ein Problem könnte es für so manchen Lehrer aber dennoch geben: Denn viele Schulen – so wie auch Kirchen, geschichtsträchtige Häuser oder Sehenswürdigkeiten – sind meistens Poké-Stops. „An solchen Orten müssen Spieler nicht unbedingt rumlaufen, können theoretisch lange Zeit von der Schulbank aus spielen und trotzdem neue Pokémon finden. Er selber wolle das natürlich nicht machen, sagt Seiler. Für andere könne er aber nicht sprechen. Einige Lehrer dürften also gewarnt sein.

Gerne gesehen ist der Pokémon-Hype dagegen bei manchen Restaurantchefs. Denn die App mache es möglich, für Geld sogenannte Lock-Module freizuschalten. Dadurch versammeln sich für etwa eine halbe Stunde mehr und besonders seltene Pokémon an einem festgelegten Ort – was natürlich spielende Gäste etwa in ein Café locken kann. „Somit wird das Spiel sogar zum Wirtschaftsfaktor“, sagt Jannis Seiler lachend, wohlwissend, dass es tatsächlich dazu dienen kann.

Dass der Hype um das Spiel bald abflaut, glaubt er nicht. „Die App ist ja noch in den Kinderschuhen. Sobald es zum Beispiel möglich sein wird, dass Trainer auf der Straße direkt gegeneinander antreten können, wird es noch mal einen Schub geben.“