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Die Mauer muss weg

Eine Coswigerin fährt rückwärts gegen eine Mauer. Es entsteht Schaden von über 3 000 Euro. Sie will nichts bemerkt haben.

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© Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Coswig. Nun, besonders feinfühlig scheint die 42-jährige Coswigerin nicht zu sein. Da kracht sie beim Rückwärtsfahren mit ihrem VW in Meißen gegen eine Mauer, beschädigt sich ihr eigenes Auto, während an der Mauer ein Schaden von 3 178 Euro entsteht. Doch sie will nichts davon mitgekriegt haben, dass sie einen Schaden verursachte. Und fuhr einfach weiter. Dumm nur, dass Anwohner das Treiben beobachteten, sich das Kennzeichen notierten. So konnte die Täterin schnell ausfindig gemacht werden. Nun sitzt sie wegen unerlaubten Verlassens des Unfallortes – kurz: Unfallflucht – vor Gericht.

Und auch hier gibt die Coswigerin den Unschuldsengel. Sie sei langsam aus dem Grundstück herausgefahren, als es einen Ruck gab. „Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass ich diese stabile Mauer beschädigt habe“, sagt sie. Sie habe keine Veranlassung gesehen, ihr Fahrzeug zu verlassen und nachzuschauen. „Das sind alles Ausreden. Sie hatten die Pflicht, sich zu vergewissern, dann hätten Sie den Schaden auch gesehen“, sagt Richterin Ute Wehner.

Erst zu Hause will sich die Angeklagte ihr Auto angesehen haben und sei erschrocken gewesen. Das Rücklicht ist kaputt, an der Stoßstange sind Kratzer. Sie selbst schätzt ihren Schaden auf 600 Euro. Bis auf das defekte Rücklicht hat sie ihn nicht reparieren lassen.

In der Tat erscheint der Schaden an der Mauer außergewöhnlich hoch. „Als ich die Schadenshöhe hörte, bin ich vom Glauben abgefallen“, sagt die Angeklagte. Doch mit ihrem Glauben hat das nichts zu tun, sondern mit dem Wissen von Sachverständigen. Die Gutachter sind zu dem Schluss gekommen, dass die zehn Jahre alte Mauer nicht repariert werden kann, weil es die Steine nicht mehr gibt. Die neuen Steine hätten andere Abmessungen. Deshalb müsse die Mauer abgerissen und komplett neu aufgebaut werden. Bis heute streitet sich der Eigentümer der Mauer mit der gegnerischen Versicherung. „Ich wäre ja mit einer Reparatur einverstanden, aber wenn die Gutachter sagen, dass das nicht geht, muss ich das so akzeptieren“, sagt der 62-Jährige.

Verteidigerin Kerstin Reich möchte, dass das Verfahren eingestellt wird, hält schon mitten in der Beweisaufnahme ihr Plädoyer. Ihre Mandantin habe nicht vorsätzlich gehandelt. „Natürlich fährt niemand vorsätzlich eine Mauer ein“, kontert Staatsanwalt Dieter Kiecke. Er geht davon aus, dass die Angeklagte den Unfall bemerkt hat und dennoch wegfuhr. Die klassische Unfallflucht also. Dennoch willigt er ein, dass das Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt wird. So muss die Angeklagte 1 500 Euro an einen gemeinnützigen Verein zahlen. Damit kommt sie nicht viel besser als im Strafbefehl, gegen den sie Einspruch eingelegt hatte. Dort wurde sie zu einer Geldstrafe von 1 800 Euro verurteilt.

Doch ums Geld geht es der Frau nicht, sondern um ihren Führerschein, auf den sie als Selbstständige angewiesen ist. Seit dem Erlass des Strafbefehls vor zwei Monaten ist der eingezogen, insgesamt für ein halbes Jahr. Durch die Verfahrenseinstellung bekommt sie ihn noch im Gerichtssaal wieder zurück. Für den zweimonatigen Entzug darf sie keine Entschädigung verlangen. Sie hat mit dieser Entscheidung großes Glück gehabt, wie ihr die Richterin auch deutlich macht: „Wenn Sie die 1 500 Euro nicht bezahlen, wird erneut verhandelt. Und dann werde ich Sie verurteilen.“