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Die Lügen der US-Präsidenten über Vietnam

Jetzt kann jeder alle „Pentagon-Papiere“ über den Vietnamkrieg einsehen. Teile waren schon vor 40 Jahren bekannt geworden.

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Von Kevin Hagen, Washington

Gestern war es so weit. Mit den „Pentagon Papers“ rückte die US-Regierung nun jene Dokumente offiziell heraus, die unter anderem belegen, dass der Vietnamkrieg von langer Hand geplant war – und gleich mehrere amerikanische Präsidenten die Öffentlichkeit darüber getäuscht hatten.

Auf den Tag genau am 13. Juni 1971 erschütterte diese Enthüllung das ganze Land. Sie kam von der „New York Times“, der große Teile der damals streng geheimen Papiere zugespielt worden waren. Nun, gezielt am 40. Jahrestag, werden alle 7000 Seiten des Dokuments freigegeben. Dass es so lange gedauert hat, wundert viele und insbesondere Daniel Ellsberg, der damals der „Whistleblower“ war – jener Mann, der dafür sorgte, dass die Papiere publik wurden. „Es ist absurd“, sagt er dazu, dass sich die Regierung vier Jahrzehnte lang mit der offiziellen Veröffentlichung so schwergetan hat.

Öffentlich einsehbar

Seit Montag seien nun die kompletten Dokumente im Nationalarchiv in College Park im US-Staat Maryland sowie in drei Präsidentenbibliotheken einzusehen, teilte das Nationalarchiv mit. Die waren 1967 vom damaligen Verteidigungsminister Robert McNamara in Auftrag gegeben worden. Sie zeigen nach Angaben der „Washington Post“, „dass amerikanische Führer öffentlich das eine über den Konflikt sagten, hinter verschlossenen Türen aber völlig anders über ihn dachten“.

Der studierte Wirtschaftswissenschaftler Ellsberg war in den 1950er-Jahren Analyst in der kalifornischen Denkfabrik Rand Corporation. Ab 1964 arbeitete er im Pentagon, später ging er für zwei Jahre als Botschaftsbeamter nach Vietnam. Die Erfahrungen dort prägten ihn. Er erkannte, dass der Krieg für die USA nicht zu gewinnen war und überlegte, wie das Grauen gestoppt werden könnte.

Eigene Austiegsszenarien

Er entwarf Ausstiegsszenarien, hatte Kontakt zu Friedensaktivisten. Und dann kam ihm die Idee. Die Öffentlichkeit sollte die Wahrheit erfahren über den Krieg und über die wirklichen Motive – und die Wahrheit lag in einem Bürosafe der US-Denkfabrik, die Zugang zu dem Dokument hatte.

Offiziell hatten die Pentagon-Papiere den Titel „United States – Vietnam Relations, 1945-1967: A Study Prepared by the Department of Defense“. Fein säuberlich hatten Mitarbeiter des Außen- und Verteidigungsministeriums die Vorgeschichte des Vietnamkrieges und den Washingtoner Entscheidungsprozess dokumentiert. Ellsberger verschaffte sich Zugang, kopierte tagelang. Das Ergebnis gab er an die Presse.

Skandal mit langer Wirkung

Eine Sensation war die Enthüllung damals, ein Skandal, der noch lange nachwirken sollte. Nach der „New York Times“ stiegen auch andere Medien ein, die Regierung versuchte mit allen Mitteln, den Schaden zu begrenzen, die weitere Berichterstattung zu blockieren. Doch am Ende siegte das Recht auf Informationsfreiheit: Der Oberste Gerichtshof erlaubte in einem Grundsatzurteil die Veröffentlichung. Mit der Zeit gerieten die Dokumente jedoch zunehmend aus dem Fokus der Öffentlichkeit. „Ich hatte sie schon fast vergessen“, sagt selbst Leslie Gelb, der damalige Chef der Arbeitsgruppe, die den Report verfasste.

Auch wenn Ellsberg damals nur etwa zwei Drittel der Berichte an die Öffentlichkeit bringen konnte, erwarten Experten wenig Spektakuläres von den bisher noch unbekannten Teilen. Spekulationen gehen dahin, dass sie sich hauptsächlich um Friedensverhandlungen mit Nordvietnam drehen.

Ellsberg hatte diese Passagen bei der Weitergabe damals absichtlich ausgelassen. Schließlich wollte er mit seiner Aktion ein Kriegsende bewirken, und nach eigenen Angaben befürchtete er, dass der damalige US-Präsident Richard Nixon eine Veröffentlichung als Vorwand für einen Verhandlungsabbruch benutzen könnte.

Absurde Geheimniskrämerei

Ist also schon vor der Freigabe des Gesamtkonzepts die Luft heraus, versucht die US-Regierung von Präsident Barack Obama dennoch, den Schritt als Beweis für Transparenz zu vermarkten. Dabei, so stellte die „New York Times“ fest, sei es so, „als öffnet man ein Scheunentor, nachdem die Pferde längst entlaufen sind“.

Ellsberg möchte der Veröffentlichung, die er als „Nicht-Ereignis“ bezeichnet, aber doch etwas Positives abgewinnen: Die Öffentlichkeit, sagte er, solle endlich die „absurde“ Geheimniskrämerei der Regierung hinterfragen. (dpa)