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Die Linke im Spagat

Sahra Wagenknecht fürchtet um Glaubwürdigkeit, wenn ihre Partei zu viele Kompromisse eingeht. Viele sehen das anders.

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© imago/ulli winkler

Von Basil Wegener, Berlin

Labourchef Jeremy Corbyn ist nach seiner ziemlich erfolgreichen Aufholjagd in Großbritannien der heimliche Star des Linken-Parteitags in Hannover. Gleich zu Beginn des Konvents in Hannover ruft Parteichefin Katja Kipping die Delegierten dazu auf, sich ein Vorbild an Corbyn zu nehmen. „Mit einem sozialen Programm kann man punkten und aufholen – und das macht uns Mut.“ Kipping wirbt mit Corbyn für einen Regierungskurs jenseits einer reinen Oppositionsrolle. Das Problem ist nur: Auch die gegensätzliche Strömung innerhalb der Linken nimmt den Briten für sich in Anspruch.

Das macht wenig später der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke deutlich. „Corbyn hat ins Zentrum seines Wahlkampfs eine Politik der Verstaatlichung der Schlüsselindustrien gestellt.“ Den Mut sollten die Linken auch haben. „Klare Worte, klares Profil, Glaubwürdigkeit“ sei das Erfolgsrezept – nicht ein unklarer Kurs wie etwa bei SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Andere Redner werten die potenziellen Bündnispartner von SPD und Grünen schon mal als „neoliberale Opportunisten“ ab.

Schnell wird klar: Die Gegensätze sind kaum zu vereinbaren. Zwar meint Kipping auch, es solle keinen Lagerwahlkampf geben, bei dem sich die Partner schon vorher zueinander bekennen – „wie Verlobte vor der Hochzeit“. Aber sie vermeidet alles, was später verhindern könnte, der Schulz-SPD oder den Grünen näher zu kommen. Kippings erklärte Gegner: Merkel, Schäuble, Seehofer.

Die Vorsitzende ist angetreten, nicht in erster Linie herumzumäkeln. Sie will „Mut machen“, „Lust wecken“ – auf grundlegende Änderungen im Land und in Europa, auf eine bessere Gesellschaft, wie sie sagt. „Die Hoffnung ist links.“ Kipping spricht über familienfreundlichere Arbeitszeiten, über Zeit mit den Kindern. „Als Mutter weiß ich, diese Zeit vergeht viel zu schnell und kommt nicht wieder.“ Es ist eine warme Rede.

Und es ist ein völlig anderer Sound als bei einigen altkommunistisch geprägten Linken, deren Rufe nach einem völlig kompromisslosen Kurs aber auch auf Beifall stoßen. Deutlich andere Akzente als Kipping hatte zuletzt auch Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht ausgesendet, etwa als sie im Bundestag alle anderen Parteien aufs Schärfste angriff. Wagenknechts Stunde auf dem Parteitag soll noch kommen – zum Abschluss am Sonntag.

In ihrer jüngsten Rundmail an ihre Anhänger schrieb Wagenknecht: „Die Menschen kennen es von allen anderen Parteien, dass sie in der Opposition oder auch im Wahlkampf das Blaue vom Himmel versprechen und dann in einer Regierung das Gegenteil davon machen.“ Das sollten die Linken nie tun – es klang so, als wollte sie sagen: Dann besser gar nicht erst regieren wollen.

Mehrere der 1 300 Änderungsanträge zum Vorstandsentwurf für das Wahlprogramm zielen darauf, hohe Hürden für eine linke Regierungsbeteiligung zu errichten– etwa die Festlegung, dass die Partei auf keinen Fall in eine Regierung eintritt, die das Hartz-IV-System beibehält. Zwar sind auch gemäßigte Linke gegen Hartz IV. Doch der Vorstand um Kipping und den Co-Vorsitzenden Bernd Riexinger fürchtet den Eindruck, die Linke sei ja ohnehin immer gegen alles. Also bemüht man sich um positive Botschaften nach dem Motto: Nicht einfach nur Nein sagen, sondern das Ziel eines Richtungswechsels im Land verheißungsvoll klingen lassen. Umverteilung durch höhere Besteuerung der Reichen, Entlastung der sozial Schwächeren, Renten rauf, Mieten runter – das sind die Kernbotschaften im Programmentwurf. „

Nach drei für die Linke enttäuschenden Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen muss die Partei fürchten, ihre Wahlziele im Bund deutlich zu verfehlen. Drittstärkste Kraft will man bleiben – auch wenn neben den Grünen mit der FDP und der AfD dieses Mal zwei weitere Parteien gute Chancen auf einen Einzug in den Bundestag haben. Die Linkspartei strebt ein zweistelliges Ergebnis an – nach den 8,6 Prozent von 2013. Vom Absinken der Schulz-SPD in den Umfragen profitiert sie derzeit kaum. Viel Zeit ist nicht mehr, wie Kipping ihrer Partei immer wieder einhämmert: „In 15 Wochen wird gewählt.“ (dpa)