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Die letzten Weihnachtssterne

Angelika Schuster gibt ihr Blumenhaus am Friedhof auf. Das Geschäft lohnt sich nicht mehr.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa. Sie hat lang mit sich gehadert: Jeder Tag, an dem doch mal wieder mehr Kunden zu Angelika Schuster in den Blumenladen am Friedhof kamen, war für sie ein Funken Hoffnung. Schaffe ich es vielleicht doch? Letztlich hieß die Antwort: nein, nein und noch mal nein.

Inzwischen steht ihre Entscheidung fest. Die Riesaerin schließt zum Ende des Jahres ihr Geschäft in der Poppitzer Straße – nach 19 Jahren. Sie folgt damit auch dem Ratschlag ihres Steuerberaters. „Der sagt schon seit Jahren: Sie können so nicht existieren.“ Denn Angelika Schuster macht den Laden nicht etwa zu, weil sie das Rentenalter erreicht hätte. Sie ist gerade einmal 55 Jahre alt. Das Geschäft rechnet sich schlicht nicht – nicht mehr. „Viele Kunden sagen immer: Das kann doch nicht sein, in dieser Lage am Friedhof.

Aber das ist ein Trugschluss.“ Die Gräber würden immer pflegeleichter. „Und die Bestattungsinstitute haben ihre eigenen Blumenläden, mit denen sie zusammenarbeiten. Ich habe es nicht geschafft, in dieses Geschäft reinzukommen.“ Also sei sie auf Laufkundschaft angewiesen, die am Poppitzer Platz nicht gerade üppig vorhanden sei. „Besonders seitdem der Penny an der Felgenhauerstraße zugemacht hat. Das war immer ein Anziehungspunkt für Kunden aus den Dörfern, die dann häufig auch noch bei mir vorbeigekommen sind.“

Ihre Stammkundschaft sei nach und nach weggestorben. Und die Jugend, die Jugend habe nicht viel übrig für Blumen – und für Friedhofsbesuch schon gar nicht. „Wenn junge Leute Blumen kaufen, dann doch meistens im Supermarkt, wenn sie gerade dran vorbeilaufen.“ Das Problem an dem Produkt Blume sei außerdem die Haltbarkeit. „Wie oft habe ich in den letzten Jahren Blumen wegwerfen müssen, um dann gleich wieder eine neue Lieferung anzunehmen, die ich am Ende auch wieder zu großen Teilen wegwerfen musste.“

Angelika Schuster ist kein Einzelfall. Ihr Geschäft ist schon der zweite Blumenladen in Riesa, der in dieser Jahreshälfte schließt. Die Inhaberin des Geschäfts Blütenzauber auf der Lauchhammerstraße hat bereits aufgeben. Die lange Vollsperrung der Straße sei schließlich ihr Ende gewesen, hatte sie der SZ Anfang September gesagt. Vera Löwe, Geschäftsführerin des Fachverbandes Deutscher Floristen, Landesverband Sachsen, wundert das nicht: „In den letzten zwei Jahren haben wirklich viele Geschäfte geschlossen, auch in Dresden.“

Besonders gefährdet seien „Einzelkämpferinnen“ wie Angelika Schuster mit einer Stundenkraft. Gründe sind aus Sicht von Vera Löwe der Mindestlohn und gestiegene Einkaufspreise. „Diese Mehrkosten lassen sich nicht eins zu eins auf die Preise für Gestecke oder Sträuße umlegen.“ Gibt es einen Ausweg aus der Misere? „Häufig unterschätzen Floristinnen den kaufmännischen Bereich. Dabei sind eine gute Kalkulation und Freundlichkeit am Ende wichtiger, als wahnsinnig kreativ zu sein“, sagt Vera Löwe.

Die Anfangszeit, die lief bei Angelika Schuster auch noch gut. Mehr als das, wie sie sagt: „Die ersten Jahre waren bombastisch.“ 1997 habe sie den Laden gekauft, der schon vorher ein Blumengeschäft war. Gelernt hat die Riesaerin bei der Gärtnerischen Produktionsgenossenschaft Einigkeit (GPG) im Laden, der heute das „Blumeneck“ von Bärbel Krake ist. Die beiden sind alte Kolleginnen. „Der Beruf hieß zu DDR-Zeiten noch Blumenbinder. Wenn man Glück hatte, kamen in der Woche 30 Nelken rein. Geübt wurde viel mit Kunstblumen.“

Nach der Wende wurden die Läden der GPG dann private Betriebe. „Und wir waren dann keine Blumenbinder mehr, sondern Floristen.“ Wie immer sich der Beruf nennt – es war und ist Schusters Traumberuf. „Es ist schon eine Leidenschaft. Irgendwie sind wir alle verkappte Künstler.“ Sie kämpft gegen die Tränen. „Ich dachte immer, ich mache das bis zur Rente.“ Doch jetzt muss sie sich mit Mitte 50 noch einmal einen neuen Beruf suchen. Die Zeitarbeitsfirma, bei der sie sich gemeldet hat, habe ihr Hoffnung auf einen Job gemacht. Dem Pessimismus gibt sich Angelika Schuster nicht widerstandslos hin. Sie hat ein festes Ziel: eine Rente, von der sie leben kann. Doch vorher steht noch der Ausverkauf an. Ab ersten Dezember möchte sie alles zum halben Preis loswerden. „Wo sollte ich mit dem Krempel auch hin?“