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Die letzte Dorfbibliothek

Im früheren Kindergarten Leutewitz stehen volle Bücherschränke. Doch jetzt kümmert sich niemand mehr darum.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa. Der unverwechselbare Geruch von alten Büchern schlägt einem schon entgegen bevor Ulrich Matz die Bücherschränke öffnet. Die stehen in der alten Schule von Leutewitz, die später den Kindergarten beherbergte und heute als Gemeinschaftshaus genutzt wird, unter anderem von der Feuerwehr. Der Inhalt der drei vollgepackten Schränke ergibt den Bestand der Leutewitzer Bibliothek. Als der Ortsvorsteher die letzte Schranktür öffnet, fallen ihm Bücher und Broschüren entgegen. Wie viele Buchrücken sich hier genau befinden – Ulrich Matz zuckt mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Zuletzt hat Frau Dr. Brigitte Junge unsere kleine Bibliothek betreut. Immer sonntags hatte sie geöffnet. Aber seit sie in einem Heim lebt, kümmert sich niemand mehr um die Bücher. Schade.“

Ein Schild aus der Zeit, als Leutewitz noch eigenständige Gemeinde war.
Ein Schild aus der Zeit, als Leutewitz noch eigenständige Gemeinde war. © Sebastian Schultz
In der alten Schule von Leutewitz, die später den Kindergarten beherbergte und heute als Gemeinschaftshaus genutzt wird, stehen die Bücherschränke der Dorfbibliothek.
In der alten Schule von Leutewitz, die später den Kindergarten beherbergte und heute als Gemeinschaftshaus genutzt wird, stehen die Bücherschränke der Dorfbibliothek. © Sebastian Schultz

Matz nimmt ein Buch in die Hand: Blauvogel von der Autorin Anna Müller-Tannewitz. Im Jahr 1951 wurde es in der damaligen Gemeindebücherei zum ersten Mal verliehen. 1973 zum letzten Mal. Dabei kann es gut sein, dass sich auch Ulrich Matz den Klassiker als Kind mal geliehen hat. „Ja, früher waren wir regelmäßig hier“, erzählt der Ur-Leutewitzer. Das im Jahr 1909 errichtete Gebäude kennt er sogar noch aus der Zeit, als es noch als Schule diente. „Drei Klassen in einem Raum.“ Das war lange bevor Leutewitz am 1. Juli 1996 offiziell ein Teil der „Großen Kreisstadt Riesa“ wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

„Man schmeißt keine Bücher weg“

Die kleine Dorfbibliothek wurde zuletzt nicht mehr allzu häufig aufgesucht. „Aber es gab immer noch ein paar Stammleser – ausschließlich Leute aus dem Ort“, erzählt Ulrich Matz.

Zeitweise wurde der Bestand durch die sogenannte Kreisergänzungsbibliothek aufgefrischt. Kleine Bibliotheken können sich dort einen Schwung Bücher oder andere Medien für eine Zeit ausleihen und ihren Nutzern zur Verfügung stellen. Doch diesen Service gibt es im Landkreis Meißen nach Informationen des Deutschen Bibliothekenverbandes schon seit Jahren nicht mehr. Die nächste noch aktive Kreisergänzungsbibliothek gebe es in Döbeln, heißt es auf SZ-Anfrage.

Doch wie der Blick in die Leutewitzer Bücherschränke beweist, hat die letzte Bibliothekarin, die gleichzeitig Ortschronistin war, den Bestand selbst immer wieder mit neueren Büchern erweitert. So finden sich Ausgaben von Hape Kerkeling oder Uwe Steimle sowie eine Handvoll neuer Romane neben den kleinen Trompeterbüchern und alten Wälzern aus den 50er, 60er und 70er Jahren. Auch Kuriositäten wie ein Buch mit historischen Feuerwehrfahrzeugen oder eine in die Jahre gekommene Ausgabe der Gelben Seiten stehen auf den Regelbrettern. „Das müsste mal ein bisschen entrümpelt werden“, sagt der Ortsvorsteher.

Doch er will sich die Dorfbibliothek nicht auch noch ans Bein binden. „Ich schaffe das nicht“, sagt Ulrich Matz, der in diesem Jahr neben seiner Stelle als Ortschaftsrat auch noch den Posten als Ortschronist übernommen hat – weil da sonst niemand laut „hier“ gerufen hat. Die Dorfbibliothek aufzulösen aber wäre das Letzte, was ihm in den Sinn käme. „Man schmeißt keine Bücher weg. Es gab mal eine Zeit, in der haben in Deutschland Bücher gebrannt. So etwas darf es nie wieder geben.“ Selbst wenn sich niemand findet, der den Posten als Dorfbibliothekar übernehmen will, würde er den Bestand bewahren. Für Ulrich Matz haben die Bücher auch einen Wert, wenn sie niemand liest. „Bücher sind einfach ein Kulturgut!“

Wer sich um die kleine Bibliothek kümmern will, kann sich unter [email protected] melden.