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Die kurze Zeit der strengen Kontrolle

Vor 20 Jahren wurde die Abfertigungsanlage Ludwigsdorf eingeweiht. Ein Jahrzehnt später hatte sie bereits ausgedient.

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© Ralph Schermann

Von Ralph Schermann

Ludwigsdorf. Im Dezember 1996 war Eröffnung. Die Grenzabfertigungsanlage in Ludwigsdorf ging in Betrieb – wenn auch nur für reichlich zehn Jahre. In denen wurde sie aber auch dringend gebraucht. Denn noch war an ein Schengen-Abkommen ohne Kontrolle der Binnengrenzen nicht zu denken, und in Görlitz stand für die Abfertigung nur die Stadtbrücke bereit. Mit dem zunehmenden Handel zwischen Deutschland und Polen aber war diese überlastet. Viel Geduld wurde von den Anwohnern gefordert. Zehn Stunden Wartezeit für Lkw bei der Ausreise nach Polen bedeuteten für die gleiche Zeit einen langen Stau in der Stadt.

Willi Stiller war von Anfang an dabei und ist noch heute im Dienst bei der Bundespolizei.
Willi Stiller war von Anfang an dabei und ist noch heute im Dienst bei der Bundespolizei.

Vor dem Bau der großen Abfertigungsanlage

1991 begann neben einer Behelfsbrücke der Bau der Autobahnbrücke Ludwigsdorf. Schon damals wurde eine Kontrollstelle in einem kleinen Container eingerichtet, auch wenn hier zuerst meist nur Baufahrzeuge rollten.
1991 begann neben einer Behelfsbrücke der Bau der Autobahnbrücke Ludwigsdorf. Schon damals wurde eine Kontrollstelle in einem kleinen Container eingerichtet, auch wenn hier zuerst meist nur Baufahrzeuge rollten.
So sah jene Stelle aus, auf der dann Schritt für Schritt die Abfertigungsanlage entstand. 1993 war gerade mal das Terrain abgesteckt für jene große Dienststelle, die im Dezember 1996 schließlich ihren Betrieb aufnahm.
So sah jene Stelle aus, auf der dann Schritt für Schritt die Abfertigungsanlage entstand. 1993 war gerade mal das Terrain abgesteckt für jene große Dienststelle, die im Dezember 1996 schließlich ihren Betrieb aufnahm.
Nach Freigabe der Brücke war das der erste Blick auf die deutsche Seite. In diesem Provisorium wurde kontrolliert, bis die „ordentliche“ Anlage fertig und die Autobahn aus Bautzen angeschlossen war.
Nach Freigabe der Brücke war das der erste Blick auf die deutsche Seite. In diesem Provisorium wurde kontrolliert, bis die „ordentliche“ Anlage fertig und die Autobahn aus Bautzen angeschlossen war.

Bis zu einer Besserung der Situation musste erst die Autobahn-Lücke zwischen Bautzen und Neiße geschlossen werden. Die neue Autobahn A4 folgt im Wesentlichen dem schon vor 1945 geplanten Verlauf. Zu bauen war ein neuer Neiße-Übergang. 1991 entstand eine Behelfsbrücke für den Bau der Neuen. Als provisorischer Grenzübergang wurde diese, 11,8 Millionen Euro teure, Neißequerung im Juli 1994 von den deutschen und polnischen Verkehrsministern freigegeben. Die Abfertigung zwischen beiden Ländern erfolgte als Gemeinschaftskontrolle ausschließlich auf deutschem Hoheitsgebiet im damals noch nicht nach Görlitz eingemeindeten Ludwigsdorf. Weil die Autobahn noch nicht fertig war, wurde die Nord-West-Umfahrung gebaut und an die neue Brücke angeschlossen. Von einem bei Markersdorf angelegten Vorstauplatz dirigierten Bundesgrenzschützer fortan die Lkw-Schlangen zum Übergang. Doch trotz reibungsloser Abfertigung ging es oft nur „Stop and Go“ über die Nieskyer Straße. Oberbürgermeister Matthias Lechner traf damals mit dem Löbauer Hauptzollamt die Vereinbarung, zwischen 15 und 18 Uhr keine Lkws vom Abfertigungsplatz abzurufen.

„Noch war der Übergang aber für Pkw und Busse gesperrt, die durften erst nach Einweihung der neuen Anlage Ende 1996 über die Ludwigsdorfer Brücke“, erinnert sich Willi Stiller. Der 58-Jährige war von Anfang an dabei. Dass er noch heute darüber berichten kann, ist selten. „Damals gab es eine große Fluktuation, die Leute kamen und gingen, es waren ja überwiegend Unterstützungskräfte aus den alten Bundesländern“, weiß er noch. Übernahmen von DDR-Grenzern gab es kaum, denn die Grenztruppen waren an der deutsch-polnischen Grenze mit nur wenig Personal aufgestellt. Zwei Drittel waren immer „aus dem Westen“, und nur wenige blieben hier wie Willi Stiller, der Braunschweiger, der in der Oberlausitz eine Familie gründete. Über 3000 Lastwagen rollten anfangs täglich über Ludwigsdorf, und dass die Abfertigung oft lange dauerte, lag auch an fehlendem Personal. Allein der Zoll forderte 330 Planstellen – und bekam 194…

Nur langsam wurde man dieser Situation Herr, nur langsam rückte auch mehr Personal nach. Willi Stiller, damals Obermeister im BGS, ist heute Polizeihauptkommissar und Gruppenleiter bei der Bundespolizeiinspektion Ludwigsdorf, die nach Wegfall der Grenzkontrollen im Jahr 2007 entstand. So wie den Aufbau, erlebte er auch den Abbau der Abfertigungsanlage mit. „Der Übergang wurde ja noch ohne Schengen-Perspektive geplant. Das heißt, die Fahrspuren wurden separat geführt, was den Rückbau zur normalen Autobahn komplizierte“, informiert er. Im Mai 2009 begann die Demontage der Überdachung und die Enfernung der schräg zwischen den Fahrstreifen aufgestellten Grenzcontainer, zu denen Stiller und seine Kollegen salopp „Telefonhäusel“ sagten. 2009 erfolgte übrigens auch die Freigabe des polnischen Teilstücks der A4 zwischen Jedrzychowice und Krzywa.

Heute hat die Bundespolizei andere Aufgaben als eine stationäre Grenzabfertigung. Und doch gibt das kleine Jubiläum Gelegenheit zu Rückblenden. Erst recht vor dem Hintergrund, dass Willi Stiller bald sein 40. Dienstjahr feiern wird. Da erinnert er sich daran, wie Ludwigsdorf erst als Einsatzabschnitt zu Görlitz gehörte, ehe die Dienststelle eine eigene Inspektion wurde. Eine Zeit lang gehörte Stiller auch zu einem besonderen Verkehrskontrolltrupp, der so manchen maroden Ostblock-Laster aus dem Verkehr zog. Und launige Geschichten machen die Runde: Ist das wirklich ein Fußballteam, ein Männerchor oder ein Orchester, was da zu einem Auftritt nach Deutschland will, oder sind das eher illegale Einreiser mit erschwindelten Visa? Um das herauszufinden, gab es ein probates Mittel, schmunzelt Stiller: „Eine Runde Fußball spielen, den Chor singen, die Kapelle musizieren lassen.“

Der Grenzübergang Ludwigsdorf sah brisante Vorfälle wie 2001 eine Blockade mit 1600 polnischen Autohändlern, die gegen neue Regeln ihres Landes protestierten, keine Schrottautos mehr aus Deutschland einführen zu dürfen. Willi Stiller hatte auch Dienst in jener Nachtschicht 1998, als bei der Einreise ein psychisch kranker Kasache zwei deutsche Zöllner erschoss. Auch die erfreulichen Erinnerungen aber bleiben. In der Anfangszeit, als noch Unkenntnis über die erforderlichen Reisedokumente bestand, hat auch Willi Stiller so manchem Durchreisenden mit provisorischen Papieren geholfen. Das brachte der Dienststelle Dankschreiben aus aller Welt. „Ein Lob aus Australien zum Beispiel“, freut sich Stiller, „wer hat schon so eine tolle Anerkennung aufzuweisen?“