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Die Kunst des Weglassens

Judith Borowski, Mitgesellschafterin und Chefdesignerin bei Nomos Glashütte, vergisst gerne mal die Zeit.

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© Robert Michael

Von Nora Miethke

Käufer und Sammler von Uhren sind meistens Männer. So auch der Vater von Judith Borowski. Er sammelte Antik-uhren. Doch das hat die Chefdesignerin und Mitgesellschafterin von Nomos Glashütte in ihrer Kindheit wenig berührt. Die Liebe zu den Zeitmessern kam erst später.

Mit einem Glas Bier fing alles an. Judith Borowski investierte ihr erstes Redakteursgehalt in eine Nomos. Sie handelte einen Rabatt aus und gab dafür ein Versprechen.
Mit einem Glas Bier fing alles an. Judith Borowski investierte ihr erstes Redakteursgehalt in eine Nomos. Sie handelte einen Rabatt aus und gab dafür ein Versprechen. © Robert Michael
Titelseite der Zeitung „Wirtschaft in Sachsen“
Titelseite der Zeitung „Wirtschaft in Sachsen“

Mitte der 1990er-Jahre blätterte Borowski, damals Volontärin in Hamburg, durch einen Manufactum-Katalog und verliebte sich auf den ersten Blick in das Tetra-Modell von Nomos. Sie riss die Seite heraus und schob sie unter ihre Schreibtischunterlage. „Diese Uhr wollte ich mir vom ersten Redakteursgehalt kaufen“, erinnert sich die 47-Jährige beim Gespräch in der Gästewohnung, die der Uhrenhersteller auf dem Weißen Hirsch angemietet hat, sparsam möbliert, auf das Wesentliche reduziert – ganz so wie die Nomos-Uhren.

Nicht die Mechanik hat sie angesprochen, sondern die spezielle Ästhetik. „Ich mag Uhren, die wie Leitzordner aussehen“, sagt Borowski. Nomos ist Mitglied des Deutschen Werkbundes, der sich in der Tradition des klassischen deutschen Industriedesigns sieht. Die strenge Formensprache und die schlichte Gestaltung seien schon „sehr, sehr deutsch“, bei Schweizer Uhren undenkbar.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Architekten und Produktdesigner lange gehemmt, sich auf die deutsche Designsprache zu beziehen. „Ich bin in einer Atmosphäre groß geworden, da hat man das Wort ‚Deutsch‘ nicht in den Mund genommen, nur von BRD und DDR gesprochen“, sagt Borowski, die in Baden-Württemberg aufgewachsen ist. Das änderte sich mit dem Mauerfall. Die Bauhaus-Tradition erlebt eine Renaissance, und dabei spielt Berlin eine wichtige Rolle.

Hier sitzen Judith Borowski und die 35 Mitarbeiter ihrer Agentur „Berlinerblau“ in einem schicken Kreuzberger Loft mit hohen Fenstern und entwerfen Ziffernblätter und Zeigerfassungen. Große Zeichenschränke sind voll mit verworfenen Entwürfen. „An dem kleinen Punkt auf der 6 auf dem Ziffernblatt des Orion-Modells haben wir ganze drei Monate gearbeitet“, betont die Agenturchefin. Das Credo der Berliner Designer besteht im Weglassen. „Unsere Uhren können nicht viel mehr als die Zeit anzeigen“, betont sie. Wer sie trage, wolle eine Haltung ausdrücken, die der Reduktion. Was übrig bleibt, muss von bester Qualität sein. Die Träger sollten ihrer tickenden Begleiter am Arm niemals überdrüssig werden. Das gilt auch für „Metro“, den Lieblingsbegleiter von Judith Borowski.

Die Schlichtheit und Eleganz der mit Designpreisen überhäuften Uhren – über 130 Preise hat die Manufaktur bislang erhalten – zeigt Erfolg. Während die Schweizer Konkurrenz derzeit Umsatzeinbußen hinnehmen müsse, wachse die mit der Wiedervereinigung von Roland Schwertner gegründete unabhängige Firma jährlich um rund 30 Prozent. Im vergangenen Jahr wurde ein Büro in New York eröffnet.

Die Designpreise sorgen auch für Achtung bei den 240 Kollegen in Glashütte. „Sie sehen die Preise und das gute Presse-echo. Damit nimmt das Bewusstsein zu, dass Texte und Bilder für Kataloge und Präsentationen auch Arbeit sind“, sagt Borowski, die für den gesamten Auftritt der Marke verantwortlich ist – vom Uhrendesign über den Katalog bis zu den Vitrinen beim Fachhändler oder die Außenfassaden der neuen Fertigungshalle.

Präzision verbindet

Anfänglich herrschte oft Kopfschütteln bei den Uhrmachern über das, was die in Berlin da treiben. Die hippen Berliner Kreativen und die introvertierten Glashütter Uhrenbauer, die um absolute Exaktheit ringen, das sind zwei sehr unterschiedliche Völkchen. „Meine Mitgesellschafter-Kollegen und ich müssen Brücken bauen zwischen Handwerkern und Künstlern“, sagt die Designchefin. Dafür ist sie mindestens einmal in der Woche nach Glashütte unterwegs. Vor allem müssen sich ihre Berliner Mitarbeiter an eine Regel halten: „Bei aller Kreativität müssen wir so präzise arbeiten wie die Uhrenmacher in Glashütte.“

Ursprünglich hat Borowski Kunstwissenschaften, Kriminologie und Politologie studiert. Anschließend arbeitete sie in Hamburg als Redakteurin bei ARD aktuell und war im Gründungsteam der Financial Times Deutschland für Politik zuständig. „Doch in meiner Brust schlugen immer zwei Herzen – für Journalismus und für Design“. Ihr erstes Redakteursgehalt reichte natürlich nicht aus für den Kauf der Tetra-Uhr. Sie weiß nicht mehr, woher sie den Mut nahm, doch sie rief Roland Schwertner an und bat um einen Rabatt. Der Nomos-Gründer gewährte ihn, aber nur unter einer Bedingung – dass sie mal ein Bier mit ihm trinken geht, wenn sie in Dresden ist. Jahre später rief Borowski wieder an, um sich auf ein Bier zu verabreden. Mit Textaufträgen kam sie nach Hause. 2001 hängte sie den hauptberuflichen Journalismus an den Nagel, zog nach Berlin und war bald nicht mehr nur für die Pressetexte für Nomos zuständig. Am liebsten schreibt sie die Texte selbst oder brütet über neuen Ideen. „Ich glaube, ich bin nicht so eine gute Managerin“, sagt sie leise. Den Vorwurf der Kollegen, zu viel selbst erledigen zu wollen, hat sie gehört und eine persönliche Assistentin engagiert. Auch wurde für Berlinerblau eine stellvertretende Geschäftsführerin eingestellt, die sich um das Kaufmännische kümmert. Trotz Internationalisierung und Wachstumsstrategie – in den nächsten fünf Jahren soll sich die Produktion verdoppeln – hofft Borowski, dass Nomos das sympathische Unternehmen bleibt, das es ist.

Für sich wünscht sie sich manchmal mehr Zeit. Klagen sind das nicht, dafür empfindet sie ihre Arbeit zu sehr als Privileg. „Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal auf die Uhr geschaut habe, wann Feierabend ist“, sagt Borowski. Die Zeit vergessen trotz Nomos-Uhr am Arm, ihr passiert das häufig.

Wirtschaft in SachsenDiesen und weitere Artikel über die sächsische Wirtschaft und ihre Macher finden Sie in der aktuellen Ausgabe von „Wirtschaft in Sachsen“ – dem Entscheidermagazin der Sächsischen Zeitung, erhältlich am Kiosk und an Tankstellen. Gern können Sie sich unter www.wirtschaft-in-sachsen.de über die Zeitung erkundigen oder sich gleich für unseren wöchentlichen Newsletter anmelden.