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Die Kläranlage der Zukunft

Forscher probieren in Westewitz aus, wie man aus Abwasser Energie gewinnen kann. Dabei helfen Sieb und Wasserlinsen.

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© Jens Hoyer

Von Jens Hoyer

Döbeln. Die Zukunft beginnt in vier Meter Höhe. Über ein Gerüst muss man zu dem Container steigen, der neben den großen Betonbehältern der Kläranlage aufgestellt wurde. Rabea-Luisa Schubert hält einen Becher mit ganz leicht getrübtem Wasser in der Hand. So sieht Abwasser aus, nachdem es durch einen extrem dichten Filter geschleust wurde. Fast alle Feststoffe wurden zurückgehalten. Menschliche Ausscheidungen, Toilettenpapier und andere organische Stoffe. Für die meisten Menschen Ekelzeug – für die Forscher vom Berliner Kompetenzzentrum Wasser ein prima Energieträger.

Stephan Baillieu (v.l.), Geschäftsführer des AZV, Rabea-Luisa Schubert und Christian Loderer vom Kompetenzzentrum Wasser stehen an der Mikrosiebanlage. Das Wasser, das die Siebe durchlassen, ist von fast allen Feststoffen befreit.
Stephan Baillieu (v.l.), Geschäftsführer des AZV, Rabea-Luisa Schubert und Christian Loderer vom Kompetenzzentrum Wasser stehen an der Mikrosiebanlage. Das Wasser, das die Siebe durchlassen, ist von fast allen Feststoffen befreit. © Jens Hoyer

Gemeinsam mit dem Abwasserzweckverband Döbeln-Jahnatal und dem Anlagenbetreiber Oewa forschen die Experten, wie die Kläranlage der Zukunft aussehen könnte. Powerstep heißt das Verfahren, das in Westewitz ausprobiert wird. Bisher sind Kläranlagen Energieschleudern. Um die 1000 Watt Energie werden gebraucht, um einen Kubikmeter Abwasser zu reinigen. Dabei stecken 4000 Watt Energie in jedem Kubikmeter drin, also das Vierfache, sagte Wolf-Thomas Hendrich, Chef der Döbelner Oewa-Niederlassung. Rein theoretisch könnte jede Kläranlage mehr Energie erzeugen, als sie verbraucht. Aus dem gewonnenen Schlamm kann in einer Biogasanlage Elektroenergie und Wärme erzeugt werden.

Ob das in der Praxis funktioniert, das wird in Westewitz gerade ausprobiert. Etwa 40 Prozent der Feststoffe werden jetzt vor dem Klärvorgang schon aus dem Abwasser geholt. Bis zu 80 Prozent können es werden, sagt Schubert. Ein zugesetztes Polymer hilft, dass sich die feinsten Stoffe verklumpen und im Sieb hängenbleiben. Bis zu 80 Prozent des Kohlenstoffs – nichts anderes sind menschliche Fäkalien, können so heruasgeholt werden. Allerdings tasten sich die Wissenschaftler ganz langsam an diese Grenze heran. Der Bakterien wegen, die sich auch vom Kohlenstoff ernähren und die das Abwasser in den beiden Klärbehältern von chemischen Stoffen wie Stickstoff reinigen. „Das ist eine schrittweise Ernährungsumstellung für die Bakterien“, erklärt sie. Die Ablaufwerte, die von den Umweltbehörden kontrolliert werden, müssen trotz des Versuchs eingehalten werden. Das ist ein Risiko, dem sich Verband und Betreiber aber stellen, sagte Hendrich.

Das Ganze lässt sich noch auf die Spitze treiben, mit zunehmender Außentemperatur läuft in einem benachbarten Gewächshaus ein anderer Versuch an. Wasserlinsen sollen den Stickstoff aus dem „gesiebten“ Abwasser herausholen. Das ist eine Alternative zum bisherigen Reinigungsverfahren – oder seine Ergänzung, Die Linsen wachsen in 22 übereinander angeordneten Wannen. Unter Laborbedingungen können sie ihre Masse in knapp 29 Stunden verdoppeln, erklärt Daniel Kahlert, der als Master-Student das Projekt betreut. Die Linsen werden geerntet und können mit dem gewonnenen Schlamm in einer Biogasanlage in Energie umgewandelt werden.

Wenn der Versuch im kommenden Jahr beendet ist, kann der AZV die Versuchsanlage übernehmen. Die ist mit 700 000 Euro von der Europäischen Union gefördert worden, sagt Hendrich. Aber auch, wenn es funktioniert, ist nicht klar, ob es sich rentiert. Denn Powerstep erfordert Infestitionen, Chemikalien müssen gekauft und Mitarbeiter bezahlt werden.

Bisher gibt es noch keine „Faulung“, keine Biogasanlage, in der die Energie auch erzeugt werden kann. Entsprechende Pläne für das Klärwerk Masten wälzen AZV und Oewa zwar schon seit Jahren, die Wirtschaftlichkeit soll noch einmal überprüft werden, sagt Hendrich. Mit der Anlage könnten Elektroenergie für das Betreiben der Kläranlage und Wärme für das Trocknen des Klärschlamms gewonnen werden. Letzeres spart Masse und Kosten, weil der Schlamm bisher im Kraftwerk Lippendorf verbrannt werden muss.